Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

g 12. Hauptpunkte des Entwicklungsgangs des Völkerrechts. 61 
  
liche Gemeinschaft mit anderen Völkern als normalen Zustand aus. Der 
Standpunkt der Griechen fand in den Lehren ihrer Philosophie zugleich auch 
eine wissenschaftliche Bekräftigung, wenn Aristoteles die Autarkie als das 
charakteristische Merkmal des Staates, wodurch er sich von allen anderen 
menschlichen Gemeinschaften unterscheidet, hinstellt. Das Bewußtsein der 
Selbstgenügsamkeit und der erschöpfenden Befriedigung aller Zwecke des 
menschlichen Lebens ausschließlich im Staat und durch den Staat schließt 
natürlich jedes Streben nach Ergänzung durch fremde Gemeinschaften und 
jeden auf Kulturentwicklung gerichteten friedlichen Verkehr mit anderen 
Staaten aus.') Plato isolierte seinen Idealstaat und schloß die Berührung der 
Bürger mit fremden Nationen aus. Anderseits ist der antiken Philosophie 
das kosmopolitische Element und folgemäßig eine anderweite Anschauung über 
das Verhältnis und die Beziehungen der Völker untereinander nicht fremd. 
So kennt Pythagoras keinen Unterschied zwischen Griechen und Barbaren; 
Demokrit betrachtete sich als Weltbürger; den gleichen Standpunkt vertritt 
Sokrates. Bei den Stoikern kommt der Gedanke der Einheit des Menschen- 
geschlechts zur Geltung. Bei den Römern vertreten insbesondere Cicero und 
Seneca den kosmopolitischen Standpunkt. Indessen, diese vereinzelten Kund- 
gebungen zutreffender Anschauungen über die tiefer liegenden Voraussetzungen 
des Rechts und seiner Herrschaft innerhalb der menschlichen Gemeinschaft 
blieben ohne durchgreifende Wirkung auf den alleinherrschenden nationalen 
Gesichtspunkt, von dem das staatliche Leben und die Beziehungen des Staats 
zur Außenwelt beherrscht waren. Noch dem Aristoteles gilt der Raub an 
Menschen und Sachen, die einem anderen Stamme gehören, als legitimer Er- 
werb. Caesar (De bello gall. VI, 23) erklärt die latrocinia bei den Germanen 
als etwas, was nicht schimpflich ist (wobei indessen ein Mißverständnis des 
altgermanischen Fehderechts unterläuft.,. Bei den vorwiegend feindlichen 
Berührungen der Völker gilt der Grundsatz: Vae victis; sie gestalten sich 
meistens als Ausbrüche der Roheit und Unmenschlichkeit und endigen ent- 
weder mit der Vernichtung oder Unterwerfung der besiegten Stämme und 
Völker. Religiöse Anschauungen führen jedoch allmählich zu einem humaneren 
Verhalten gegenüber dem Fremden durch Gewährung der Gastfreundschaft, 
des Friedens für den einzelnen Fremden, der friedlich das Land bereist 2), 
während Kaufleute im Altertum vorwiegend als Feinde galten. Eine Wirkung 
humanerer Anschauungen kommt auch darin zur Geltung, daß an die Stelle 
qualvoller Tötung der Gefangenen deren Behandlung als Sklaven oder Hörige 
trat. Spezifisch religiöse Gesichtspunkte führten allenthalben zur Anerken- 
nung der Unverletzlichkeit von Gesandten, der Verbindlichkeit von Verträgen 
und Bündnissen, die durch Eid und Opfer bestätigt und damit unter den 
Schutz der Götter gestellt wurden.) 
1) Vgl. Jellinck, Staatsl. 395 ff.: „Aller Verkehr beruht mit psychologischer Notwen- 
digkeit auf dem durch ökonomische und geistige Bedürfnisse in Bewegung gesetzten Er- 
gänzungsstreben, von dem die antike Lehre ja behauptet hatte, daß es im Staate seine abso- 
Iute Befriedigung findet.“ 
2) Homer, Odyssee; Tacitus, Germ. II; Angelsächs. Recht: Tertio diehospes famiharishabetv. 
3) In seinen Untersuchungen über das antike Völkerrecht bespricht Cybichowski 
 
	        
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