Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

64 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. 8 15. 
  
bündnissen, die trotz der rudimentären staatlichen Organisation allmählich zu 
einer Art von Staatensystem sich ausbildeten (Cheruskerbund, Markomannen- 
bund). Dabei macht sich aber fortwährend ein Antagonismus der verschie- 
denen Stämme gegen einander geltend, der selbst in späteren Epochen (in 
der deutschen Reichszeit) eine einheitliche staatliche Verbindung der durch 
etlinische und kulturelle Momente verbundenen Teile verhinderte. In der 
Periode der Völkerwanderung bekämpften sich die germanischen Stämme 
meistens ganz planlos. Nur der Ostgothenkönig T’heodorich der Große hatte 
schon einen Plan allgemeiner, germanischer Konfoederation gegen die Über- 
macht der Franken gefaßt und teilweise durchgeführt. In den germanischen 
Staaten, die in den römischen Provinzen gegründet wurden, kamen die ge- 
wissermaßen natürlichen und wesentlichen Elemente der Staatsidee nur zu 
ganz unvollkommener Geltung. Der kulturelle Abstand der Eroberer 
gegenüber der eingebornen Bevölkerung und der Mangel spezifisch staatlicher 
Kultur erklärt jene eigentümliche Erscheinung, die sich als eine Art von 
völkerrechtlichem Zusammenbestehen der germanischen und römischen Be- 
völkerung in demselben Lande charakterisieren läßt. Vermöge dieses eigen- 
artigen internationalen Zustandes wurden beide Volkselemente durch einen 
Landfrieden zusammengehalten. Auf dieser Grundlage kommt das Prinzip 
der Personalität des Rechts zur Geltung, wonach die unterworfenen Völker 
ihr eigenes Volksrecht behalten. 
Mit der Annalıme des Christentums erhielten die Völker ein gemein- 
schaftliches Sittengesetz und damit die Grundlage einer gleichmäßigen Ent- 
wicklung internationaler Beziehungen. Der Gedanke der Einheit und Zusammen- 
gehörigkeit der Völker konnte in das Bewußtsein der Zeit eintreten. Allein 
dieser Gedanke der Einheit und gleichen Persönlichkeit beschränkte sich in 
der praktischen Betätigung eben nur auf die christlichen Staaten, deren Be- 
völkerung gewissermaßen eine christliche Nationalität bildete. Die Betonung 
der religiösen Gemeinschaft schloß jede Rechtsgemeinschaft mit andersgläubigen 
Völkern aus. Die allgemein menschliche Wahrheit der Gleichheit der Menschen 
und Nationen kam unter dem Einfluß der Kirche nur für die christlichen Staaten zu 
praktischer Geltung; es bildete sich eine Art von Staatensystem unter der Auto- 
rität des Papstes — eine christliche Universalmonarchie, welche alle christlichen 
Staaten unter sich begreift. Infolge der Verbindung des römisch-dentschen 
Kaisertums mit der Kirche entwickelt sich auch ein weltliches, vorwiegend 
feudalistisches Staatensystem; anfänglich unterstützen sich die beiden Autori- 
täten, dann aber kommen sie in Konflikt, in welchem das mittelalterliche Ideal 
der geistigen und rechtlichen Einheit der Christenheit verschwindet. In diesem 
Verbande von Staat und Kirche hatte sich der Papst die höchste Autorität 
und ein Recht der Einmischung in die inneren und äußeren Angelegenheiten 
der Katholischen Staaten beigelegt, wenn eine betreffende Angelegenheit die 
Interessen der Kirche und das kirchliche Recht berühren mochte. Daraus er- 
klärt sich, daß er Kaiser und Könige vor seinen Stuhl vorlud und nach Um- 
ständen geistliche Strafen gegen sie verhängte, ja selbst von der Exkommuni- 
kation Gebrauch machte |c. 6 X (1,33), e. 13 X (2,1), c. 3 (2,10), wenn die
	        
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