66 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. 8 13.
Interesse eines geordneten und sicheren Seeverkehrs hervor und führte zur
Herstellung von Sammlungen der im Schiffahrtsverkehr seit langem herrschenden
Gewohnheiten, nämlich des Consolato del mare, derRöles d’Ol6ron, des
Seerechts von Wisby usw. Ein bedeutsames Symptom der Idee einer Rechts-
gemeinschaft der Völker kam im Zusammenhang mit der Mission des römisch-
deutschen Kaisertums in der Anerkennung des römischen Rechts als gemeinen
Rechts aller zivilisierten Völker (als der ratio scripta der Menschheit) zum
Ausdruck. Zivilisten und Kanonisten beschäftigten sich mit vielen Problemen
des Völkerrechts, die erst in den folgenden Jahrhunderten ihre positivrecht-
liche Lösung finden sollten. Der weltliche Charakter des Rechts und die
Unabhängigkeit der staatlichen Ordnung von kirchlicher Autorität tritt am
Anfang des 14. Jahrhunderts in der publizistischen Literatur, so bei Wilhelm
vonOccam, Marsilius von Padua u. A, im energischer Weise hervor. Die
Möglichkeit von gegenseitigen Rechten und Pflichten der Staaten wird viel-
fach nachgewiesen, der Friedenszustand als die Regel und Bedingung des un-
geschmälerten Freiheitsgebrauchs, der Krieg als die Ausnahme und als Übel
erkannt. In den Untersuchungen über das Kriegsproblem tritt die Frage
über die Ursachen des gerechten Krieges in den Vordergrund; auch zeigt sich
eine entschiedene Ablehnung des Fehderechts und der Repressalien. Die
literarische Kritik ruft auch schon mancherlei Reformen in der Richtung der
Einschränkung des Fehderechts und der Umgestaltung des Repressalienrechts
hervor. Die Erledigung von Streitfällen vollzieht sich vielfach schon durch
Verwertung der guten Dienste und der Vermittlung dritter Mächte — abge-
sehen von den schon oben erwähnten Fällen schiedsrichterlicher Entscheidung.
Abgesehen von der ständigen Vertretung des römischen Stuhles in Byzanz
und am fränkischen Hofe beginnt in dieser Periode die Bestellung ständiger
Gesandtschaften nach dem. Vorbilde des lebhaften diplomatischen Verkehrs
der italienischen Staaten. Der enge und vielgestaltige politische Verkehr
dieser Staaten und die der korporativen Idee des Mittelalters entsprechende
Verbindung der Städte innerhalb großer Gebiete des damaligen Europa zur
Pflege gemeinsamer Interessen wirkte mächtig auf die Erkenntnis der Not-
wendigkeit von rechtlichen Normen gegenseitigen Verhaltens der Beteiligten
und förderte in jener Zeit in bedeutendem Maße das Erwachen der Völker-
rechtsidee.
Dem machtvollen Auftreten des Islam, dessen religiöses und gleichzeitig
politisches Ziel die Unterwerfung der Welt unter ein bestimmtes religiöses
Bekenntnis war, fehlte von vornherein jede Beziehung zu den notwendigen
Voraussetzungen der WVölkerrechtside. Die Berührung der europäischen
Völker mit den Arabern war indessen nicht ohne wohltätige Wirkungen auf
die Entwicklung der europäischen Zivilisation geblieben. Im Verlauf der
weiteren Geschichte der Bezieliungen des Occidents zum Orient war eine Art
von Kompromiß der einander so entgegengesetzten Weltanschauungen auch
auf rechtlichem Gebiete unvermeidlich geworden; unter dem Einfluß der
Macht der Tatsachen und von Motiven, welche das eigene Interesse zur
Geltung brachte, vollzog sich auf beiden Seiten ein Verzicht auf die aus