68 Erstes Buch. Allgemeine Lehren. $ 14.
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seits, dem König von England und dem Herzog von Burgund anderseits) waren
neben den Streitteilen, dem Gesandten des Papstes und des Baseler Konzils,
das deutsche Reich und eine Reihe anderer Staaten, die Stadt Paris und
andere französische Städte usw. vertreten. Die Verbindung der weltlichen
und geistlichen Macht kam hier noch zu voller Geltung: die Entscheidung in
der Sache wurde wesentlich von den Gesandten des Papstes und des Konzils
zu Basel beeinflußt. Eine bemerkenswerte Erscheinung des 15. Jahrhunderts
bietet das Projekt eines Bundes der christlichen Fürsten durch welchen der
böhmische König Georg von Podiebrad den Frieden unter den christlichen
Völkern, die wirksame Bekämpfung der Türken und die friedliche Austragung
von Streitfällen auch unter Staaten, die dem Bunde nicht angehörten, sichern
wollte. Die politischen Zwecke des Projekts (die gegen den Kaiser und den
Papst gerichtet waren) und der Umstand, daß die Voraussetzungen der Ver-
wirklichung einer solchen Idee in jener Zeit noch nicht gegeben waren, be-
wirkten, daß es bei einem bloßen Versuche (gegenüber Ludwig XI. von
Frankreich und der Republik Venedig) geblieben war. Bemerkenswert ist,
daß in dem den beiden Mächten vorgelegten Allianzentwurf die Schieds-
gerichtsidee mehrfach verwertet ist — handelte es sich doch um die Sicherung
des Weltfriedens! !)
Können wir die Entstehung und Ausbildung des Völkerrechts im ganzen
als das Werk fortschreitender Zivilisation auffassen, so begreift es sich, daß
die großen Entdeckungen am Ende des 16. Jahrhunderts der Weiterbildung
des Völkerrechts einen mächtigen Aufschwung geben mußten. Das erweiterte
Gebiet politischer Betätigung namentlich jener Mächte, die damals ihre
politischen Kräfte im Geiste der modernen Staatsidee so mächtig entfaltet
hatten (Frankreich, Spanien, Portugal, die Niederlande) wurde zwar zunächst
zum Schauplatz wirtschaftlicher und politischer Rivalitäten; allein die Er-
kenntnis der Solidarität der Interessen mußte dem Gedanken der Gemeinschaft
der rivalisierenden Staaten doch mächtig Vorschub leisten, zumal die öffent-
liche Meinung und die Publizistik die in jenem Wettkampf der Mächte zahl-
reich vorkommenden Verletzungen des Rechts energisch mißbilligte, die Macht
der öffentlichen Meinung aber schon in jener Zeit nicht ganz unbeachtet
bleiben konnte. So wurde der Gedanke der internationalen Gemeinschaft
trotz der zahlreichen Konflikte und Machtverschiebungen durch Gewaltakte,
welche die Negation der Gleichberechtigung der Staaten bedeuteten, wach er-
halten. Klarer und mächtiger traten die Idee des sogen. freien Staaten-
systems d. i. die Idee der Selbständigkeit und rechtlichen Gleichheit der
Staaten mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts, zugleich auch die Anfänge
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1) Vgl. Schwitzky a. a. O., der im Hinblick auf obiges Projekt mit Recht hervor-
hebt (S. 2), daB die Ansicht, nach welcher Heinrich IV. von Frankreich und Sully zuerst
den Gedanken eines allgemeinen Friedens zur Ausführung bringen wollten, nicht zutreffend
ist. In der Tat ist jenes Projekt des Königs von Böhmen, das dieser auf Anregung seines
Kanzlers Marini entworfen hat, der erste Versuch dieser Art. In Anm. 1 S. 2 wird übrigens
eines ähnlichen literarischen Versuchs des Franzosen Dubovis vom Jahre 1306 (De recuperati-
une sanctac) gedacht, auf die Walter Schücking den Verf. aufmerksam gemacht hat.