Full text: Das öffentliche Recht der Gegenwart. Band III. Völkerrecht. (3)

$ 16. Fortsetzung. VI. Von der franz. Revolution bis zum Pariser Kongreß d. Jahres 1556. 73 
  
deutung der ersten französischen Revolution nicht in der Beseitigung des 
unerträglich gewordenen ancien regime und der Konstituierung Frankreichs 
auf der Grundlage der politischen Freiheit. Die welthistorische Bedeutung 
dieses Ereignisses liegt vielmehr in den Resultaten jener großen geistigen 
Bewegung des 18. Jahrhunderts, die in ihren praktischen Wirkungen alle 
Seiten des sozialen Lebens berühren mußte. Es wurden alle wichtigen so- 
zialen Probleme an der Wurzel erfaßt. So erklärt es sich von selbst, wenn 
der universelle (an die Natur des Menschen und der Gesellschaft anknüpfende) 
Ideengang der damaligen Zeit über das Gebiet der individuellen und Volks- 
freiheit hinaus in das Gebiet der Völkergemeinschaft getragen wurde und für 
die Mitglieder dieser Gemeinschaft unter Ablehnung der Herrschaft der 
Gewalt volle Freiheit und Autonomie forderte. Im Bereich dieser Ideen 
mußte dem Völkerrecht ein von dem Glauben und der Konfession, aber auch 
von der Nationalität unabhängiges alle Völker des Erdballs umfassendes Herr- 
schaftsgebiet vindiziert werden. Erfüll von dem Grundgedanken und den 
naturrechtlicben Voraussetzungen der „Erklärung der Menschenrechte“, 
gelangte man für das soziale Leben der Völker zu denselben Forderungen 
an die Regelung der internationalen Beziehungen und Lebensverhältnisse !); in 
letzter Reihe handelte es sich um die ausschließliche Herrschaft des Rechts 
auch in der Völkergemeinschaft, wie sie in erster Reihe für das soziale Leben 
der Individuen im Staat zur Geltung kommen sollte. War das Recht zur 
Bedingung der freien Betätigung und Sicherheit der Staaten geworden, dann 
bedurfte es keines künstlichen politischen Mittels, wie es das Prinzip der Er- 
haltung des europäischen Gleichgewichts war, um sich gegen einseitige Macht- 
erweiterung ehrgeiziger Staaten zu schützen. Allein die den Anfang und Fort- 
gang der Revolution beherrschende Gewalt und die Gefahr des Übergreifens 
der revolutionären Bewegung in die traditionelle Ordnung der übrigen Staaten 
verhinderte zunächst die Verwirklichung aller Bestrebungen nach dauernder 
Herrschaft der Völkerrechtside. Die revolutionäre Propaganda rief die 
Koalition gegen Frankreich hervor und in zahlreichen blutigen Kriegen trat 
das Völkerrecht völlig in den Hintergrund; die letzten Spuren des europäi- 
schen Gleichgewichts waren dem Ehrgeiz Napoleon I. gewichen; auf den 
Trümmern der eroberten Staaten ersteht ein Napoleonisches Prinzipatsystem, 
dessen Völkerrechtswidrigkeit und innere Unhaltbarkeit den Zusammenbruch 
verursachte, der sich in den Verträgen vom 30. März 1814 und 20. No- 
vember 1815 vollzogen hatte. Die Wiederherstellung der Ordnung und Herr- 
schaft des Völkerrechts war das große Ziel, welches der Wiener Kongreß 
sich gesetzt hatte. Indessen, schon der Umstand, daß die Interessen der 
Großmächte zum Schaden der kleineren Mächte in den Vordergrund gestellt 
wurden, und der konservative Grundzug der Verhandlungen auf eine wirksame 
Bekämpfung der neuen Ideen gerichtet war, verhinderten die durchgreifende 
Weiterbildung des Völkerrechts. Wichtige Probleme, welche die lange Kriegs- 
1) Abbe Gregoire redigierte eine De&claration du druit des gens. Das Projekt wurde in 
der Nationalversammilung (28. Oktober 1792) angenommen, dagegen von dem Convent 1795 
im Hinblick auf die auswärtige Gefahr verworfen.
	        
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