$ 1%. Fortsetzung. VII. Von 1856 bis zur Gegenwart. 81
zu Brüssel zum Zwecke der Bekämpfung des Sklavenhandels vorgegangen.
Die Generalakte vom 2. Juli 1890 ist auch von den Delegierten der Staats-
oberhäupter Persiens und Zanzibars unterzeichnet.
Eine bemerkenswerte Erklärung bezüglich der rechtlichen Wirksamkeit
von Staatsverträgen hatte die Londoner Konferenz (Januar 1871) aus Anlaß
des einseitigen Versuchs Rußlands, die allerdings lästigen Bedingungen der
Stellung dieses Staates im schwarzen Meer (Pariser Vertrag 1856) zu be-
seitigen, abgegeben; es wurde der allgemein anerkannte Grundsatz feierlich be-
tont, daß eine kontrahierende Macht ohne Zustimmung der anderen Kontra-
henten sich von ihren vertragsmäßigen Verbindlichkeiten nicht befreien noch
auch den Inhalt des Vertrags einseitig modifizieren darf. (S. oben S. 17 Anm. 2)
Der Anlaß zur Einberufung der I. Haager Konferenz !) war nicht von
vornherein auf die Lösung jener Aufgaben gerichtet, die erst auf Grund des
zweiten Zirkulars des Kaisers Nikolaus II. von Rußland (Januar 1899) in be-
stimmter Gestalt hervortraten und sich zu einem brauchbaren Konferenz-
programm ausgestaltet hatten. Das erste Zirkular (August 1898) hatte auf
den ersten Blick einen entschieden politischen Charakter. Allein die Dis-
kussion über das im ersten Zirkular angeregte „Friedensproblem* konnte doch
füglich nicht abgelehnt werden, ebenso wenig der nahe liegende Gedanke,
dasjenige zu unternehmen, was den ernsten Willen bekundete, das Möglichste
im Interesse friedlicher Erledigung von internationalen Streitfällen durch all-
gemeine völkerrechtliche Normen zu leisten. So wurde die Konferenz durch
die ganze Sachlage auf die Weiterbildung des Völkerrechts erst hin-
übergeleitet. Indessen, wir dürfen nicht vergessen, daß die Mächte gerade
damals schon eine überaus fruchtbare Tätigkeit im Dienste der Weiterbildung
des Völkerrechts entwickelt hatten. In demselben Lande und in derselben
Stadt tagten während der Neunzigerjahre jene Konferenzen, deren Ergebnisse
das Völkerrecht auf wichtigen Gebieten des internationalen Privat-
rechts und des Prozeßrechts so mächtig gefördert hatten. So erscheint das
Werk der I. Haager Konferenz (Schlußakte vom 29. Juli 1899) in der Tat als
ein Glied in der Reihe von kollektiven rechtsetzenden Akten der Mächte, die
von dem Gedanken der Notwendigkeit spontaner Weiterbildung des Völker-
rechts beherrscht sind. Wie schon oben bemerkt, hatte die I. Haager Kon-
ferenz auf dem Gebiete des Landkriegsrechts neuere Kodifikationsversuche
abgeschlossen und Einrichtungen, die auf Staatenkonferenzen (Genf 1868) schon
vorbereitet waren (Ausdehnung der Genfer Konvention auf den Seekrieg)
einer Regelung unterzogen. In engerem Zusammenhange mit dem Anlaß der
Einberufung der Konferenz wurde aber in erster Reihe ein für die inter-
nationale Friedensordnung überaus wichtiges Gebiet kollektiver Regelung zu-
geführt, nämlich das Verfahren in völkerrechtlichen Streitigkeiten.
Der Wert der Ergebnisse der I. Haager Konferenz liegt augenscheinlich gerade
in dem sog. Friedensabkommen. Hier sind die Ansätze und Grundlagen
einer für die praktische Geltung und den Schutz des Völkerrechts als Friedens-
1) Vgl. meine Abh., Jahrb. des öffentl. Rechts (1907) I, 82 ff.
Ullmann, Völkerrecht. 6