Full text: Heinrich der Löwe Herzog von Bayern und Sachsen.

70 Zweites Buch. I: Heinrichs Jugend. 
Verkündiger der künftigen Dinge, mit seinem prächtigen Haupttempel zu 
Arkon; Dziwa, die Göttin der Fruchtbarkeit und des Lebens. Aber bald 
machten diese Naturgötter den göttlichen Vertretern von Ideen Platz. Es 
traten sich der gute Belbocg und der schlimme Czernebocg gegenüber; aber 
dieser wurde mehr gefürchtet und für mächtiger gehalten als jener. Während 
Pravo, der Gott der Gerechtigkeit, seimen Sitz in offenen Hainen nahm und 
dort unsichtbar dem Gerichte präsidierte, stand der glänzende Tempel des 
Kriegsgottes Radigast hochverehrt zu Rhetra. Man sieht, wie der Charakter 
der Religion, den äußeren Geschicken des Volkes sich anpassend, zu einem 
düster“schrecklichen wurde. Der abergläubische Wende des 10. Jahrhunderts 
sah Feld und Hain von übelwollenden Dämonen bevölkert, die ihn überall 
mit Schaden bedrohten. Diese Furcht vor dem Geheimnisvollen benutzten 
die Priester, um sich über die Gemüter ihrer Volksgenossen eine vollstän- 
dige Herrschaft zu gewinnen, die sie dadurch verstärkten, daß sie sich als einzige 
Verkünder des göttlichen Willens für die zukünftigen Dinge ausgaben. Ihrer 
finsteren Gewalt verdanken die blutigen Menschenopfer der Wenden ihre 
Entstehung. Traurige Verirrungen einer, den herannahenden Untergang 
vorausfürchtenden Nation! — Die Seele hielten die Wenden nicht für un- 
sterblich'). 
An diesen Lehren hingen die Slawen mit großer Festigkeit. Hatte auch 
im 9. Jahrhundert Ansgar, der Stifter des Erzbistums Hamburg--Bremen, 
unter dem Schutze Ludwigs des Frommen den Samen des Christentums 
im Wendenlande gelegt, die Stiftung des Magdeburger Erzbistums diesen 
zur ersten Entfaltung gezeitigt und der Slawe Adalbert am Ende des 
10. Jahrhunderts die neue Religion im Wendenlande wirklich zur Blüte ge- 
bracht: so war sie doch im 11. Jahrhundert, zur Zeit der Übermacht des wen- 
dischen Wesens, wieder gänzlich bei den Nordslawen untergegangen. Der 
Kampf der sächsischen Fürsten gegen Kaiser Heinrich IV. hatte die Norddeut- 
schen zum Verzichte auf ihre nationale Ausdehnung im Osten genötigt. Nicht 
allein büßte das Erzstift Hamburg-Bremen seine kirchliche Oberhoheit über 
die skandinavischen Lande ein, die in Lund einen eigenen hierarchischen 
Mittelpunkt erhielten; auch die wendischen Heiden drangen in Nordalbingien 
vor: Wagrier und Obotriten überschwemmten die deutschen Kolonisten- 
lande und zwangen Holsten und Dithmarschen zur Tributzahlung““). Im 
12. Jahrhundert mußten von neuem aufopferungsvolle Männer das schwere 
Geschäft der Bekehrung dieser zähen Wenden beginnen. 
Die ersten, die das Werk der deutschen Kolonisation im slawischen Osten 
wieder unternahmen, waren die Erzbischöfe von Hamburg-Bremen. Sie 
  
) Kobbe, Lauenburg, I, S. 1½6.—2.— Gebhardi, Allg. Weltgesch., LI, S. 239—255. 
— Kann gießer, Pommern, 1 169. 194—198. 203—206. — Lützow, Vechenhur 
1. S. 310 Rudloff, Kadsdevl I. S. 171 f. — Giesebrecht, Wend. Gesch., 
S. 67—94. — Raumer, Ho enstaufen, 1, S. 537. 
*% BglI. G. Dehio, Geschi te d. Erzbistums Hamburg- Bremen, Bd. II(Berlin 1877).
	        
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