Full text: Handbuch des Staats- und Verwaltungs-Rechts für das Königreich Bayern. Band I. Das Deutsche Reich und das Königreich Bayern. (1)

242 § 50. Allgemeines. Die beiden Kammern. 
Seit 1848 wird statt des Ausdrucks „Ständeversammlung"“ die Be- 
zeichnung „Landtag“ gebraucht. 
Nach Tit. VI § 11I. c. sind die zwei Kammern des Landtages 
a. die Kammer der Reichsräte, 
b. die Kammer der Abgeordneten. 
Der bayerische Landtag ist nicht wie derjenige der früheren Zeit 
eine Vertretung der bevorrechtigten Stände, sondern wirklich eine 
Volksvertretung, eine Vertretung des ganzen Landes oder Staates. 
Demgemäß hat auch jedes Mitglied des Landtages nach Tit. VII 
§ 25 l. c. den Eid zu leisten: „Ich schwöre Treue dem Könige, Ge- 
horsam dem Gesetze, Beobachtung und Aufrechthaltung der Staats- 
verfassung und bei dem Landtage nur des ganzen Landes allge- 
meines Wohl und Beste ohne Rücksicht auf besondere Stände 
oder Klassen nach meiner inneren Ueberzeugung zu beraten“ 2c. 
Nach der prägnanten zutreffenden Definition Dr. v. Seydel's 
(Bd. 1 S. 348) ist der Landtag „eine in zwei Kammern gegliederte 
Versammlung, welche dem Könige in den gesetzlich vorgesehenen Fällen 
bei Ausübung der Staatsgewalt zur Seite steht.“ „SEr ist kein 
„Staatsorgan“ neben dem Könige, sondern unter dem Könige.“ 
„Der König ist auch dem Landtage gegenüber Herrscher."“ 
Demgemäß bestimmt auch Tit. VII § 22 l. e., daß der König 
den Landtag beruft, — dies muß jetzt infolge des Gesetzes vom 
10. Juli 1865 über die Abkürzung der Finanzperioden (Web. 6, 
496) wenigstens alle zwei Jahre geschehen —, ferner daß der König 
den Landtag eröffnet und schließt, sei es in eigener Person oder durch 
einen besonders hiezu Bevollmächtigten, wie der König endlich auch 
nach § 23 l. c. jederzeit das Recht hat, die (in der Regel auf zwei 
Monate berechneten) Sitzungen des Landtags zu verlängern, sie zu 
vertagen oder auch die ganze Versammlung aufzulösen. 2) 
Nach Tit. VII § 1 der Verf.-Urk. können die beiden Kammern 
nur über jene Gegenstände in Beratung treten, die in ihren 
Wirkungskreis gehören, welcher in den §§ 2 bis 19 (des Tit. VI.) 
näher bezeichnet ist. 
Nach § 2 l. c. kann ohne den Beirat und die Zustimmung des 
Landtags kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freiheit der Per- 
sonen oder das Eigentum der Staatsangehörigen betrifft, erlassen, 
noch ein schon bestehendes abgeändert, authentisch erläutert oder auf- 
gehoben werden. Doch hat diese Bestimmung insoferne eine gewisse 
Abänderung erfahren, als in denjenigen Angelegenheiten, welche nach 
der Reichs-Verf., speziell Art. 2, 4 und 78 derselben zur Kompetenz 
der Reichsgesetzgebung gehören, eine Beratung und Beschlußfassung 
des bayerischen Landtages nicht mehr stattfindet.) 
:) Letzteren Falles muß nach Tit. VII § 23 Abs. II der Verf.-Urk. min- 
destens binnen drei Monaten eine Neuwahl der Kammer der Abgeordneten vor- 
genommen werden. 
*) Vergl. oben § 35 a Anm. 102 S. 126 und 127.
	        
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