8 90. Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern. Familienstatut. 475
8 3. Die Vormundschaft über die königlichen Prinzen und Prinzessinnen,
insoweit sie auf die Reichsverwesung sich nicht bezieht, kann durch eine väterliche
Disposition besonders angeordnet werden. In Ermanglung einer solchen Dispo—
sition gebührt der verwitweten Königin, welche in jedem Falle die Erziehung ihrer
Kinder hat, die Vormundschaft über das Privatvermögen derselben während ihrer
Minderjährigkeit, jedoch allzeit unter der Aufsicht des Monarchen oder des gesetz-
lichen Reichsverwesers, welcher das Gutachten des Regentschafts-Rates hiebei zu
erholen hat. Die nämliche Aufsicht hat auch bei der durch den verstorbenen Mo-
narchen angeordneten Vormundschaft statt.
Sollte die verwitwete Königin vor beendigter Vormundschaft mit
Tod abgehen, oder wegen eines gesetzlichen Hindernisses die Vormundschaft nicht
fortführen können, so kömmt die Anordnung derselben dem nachgefolgten Monarchen
oder dem jedesmaligen Reichsverweser mit Vernehmung des Regentschafts-Rates zu.
& 5. Die Prinzessinnen verbleiben unter der Kuratel des Monarchen oder
des Reichsverwesers bis zu ihrer Vermählung, ohne Unterschied, ob sie bei der
verwitweten Königin sich befinden, oder ein besonderes Haus für sie gebildet
worden ist.
§ 6. Die Prinzen des königlichen Hauses können für die Verwaltung des
Vermögens und die Erziehung ihrer minderjährigen Kinder Vormünder ernennen,
diese müssen aber von dem Könige bestätigt werden.
& 7. Wenn der Vater entweder selbst keine Vormünder ernannt hat, oder
die ernannten haben die königliche Genehmigung nicht erhalten, so kömmt ihre
Bestellung dem Könige zu.
§ 8. Die Vormünder müssen bei der Erziehung der Prinzen und Prin-
zessinnen dasjenige beobachten, was in Tit. IV § 1 deshalb verordnet ist.
8 In Ansehung der Verwaltung des Vermögens haben sie die Vor-
schriften der Gesetze des Königreichs zu beobachten, jedoch wird bei ihren Hand-
lungen, wo bei Privaten die Bestätigung der Gerichte vorgeschrieben ist, die Be-
stätigung des Königs erfordert.
X. Titel.)
Von der Gerichtsbarkeit über das königliche Haus in streitigen Fällen und
von dem Familien-Rate.
§ 1. Real= und vermischte Klagen gegen ein Glied des königlichen Hauses
werden bei den einschlägigen königlichen Appellationsgerichten angebracht.
8 2. Ueber alle andere persönliche gerichtliche Angelegenheiten der Prinzen
und Prinzessinnen des Hauses verfügt und entscheidet der König. Den vorläufigen
Versuch der gütlichen Vereinbarung hat der königliche Staatsminister der Justiz
auf königlichen Auftrag anzustellen. Bleibt derselbe ohne Erfolg, so wird der
Prozeß durch die Präsidenten des Oberappellationsgerichtes ) und des Appellations-
Gerichtes *) der Residenzstadt nach der bestehenden Gerichtsordnung im königlichen
Namen, und nach vorläufigem besonderen Auftrage des Königs instruiert. Die
auf obige Weise instruierten Akten werden an das königliche Staatsministerium
der Justiz eingesendet. Die Entscheidung der Sache erfolgt durch den König nach
vorher eingeholtem gemeinschaftlichen Gutachten der beiden Staatsministerien des
königlichen Hauses und der Justiz in erster und zugleich letzter Instanz.
§ 3. Die Deposition bei Zeugschaften ist von den königlichen Familien-
gliedern bei fürstlichen Treuen und Glauben durch einen Präsidenten des Ober-
appellationsgerichtes !) zu erholen und dem einschlägigen Gerichte mitzuteilen.3)
e) Zu Tit. X vergl.: Art. 81 Abs. 2 des bayer Ausführungsgesetzes zum Reichsgerichts-
Verfassungsgesetz Web. 12, 674): „Die bezüglich der Gerichtsbarkeil in Angelegenheiten der Mit-
glieder der königlichen Familie geltenden Vorschriften bleiben unberührt.“ (Siehe hiezu § 5 des
Einf.-Ges. zum Reichs-Ger.-Verf.-Ges. vom 27. Januar 1877 (Web. 11, 749).
Ferner: Art. 3 Abs. II (letzter Satz) des Ausf.-Ges. zur Str.-Proz.-Ordn. vom 18. August
1879 (Web. 13, 198): „Unberührt bleiben die Bestimmungen des Familienstatuts vom 5. Aug. 1819.“
t) Jetzt obersten Landesgerichtes.
) Zstzt Oberlandesgerichtes.
n) Siehe hiezu § 71 der Reichs-Str.-Proz.-Ordn., welcher bestimmt: Die Landesherrn und