500 § 90. Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern. Tit. VII.
§ 20. Jeder einzelne Abgeordnete hat das Recht, in dieser
Beziehung seine Wünsche und Anträge in seiner Kammer vorzu—
bringen.75)
Die von einer Kammer über solche Anträge gefaßten Beschlüsse
müssen der andern Kammer mitgeteilt, und können erst nach deren er-
folgter Beistimmung dem Könige vorgelegt werden.
§ 21. Abs. 1. —75)
Erkennt die Kammer durch Stimmenmehrheit die Beschwerde für
begründet, so teilt sie ihren diesfalls an den König zu erstattenden
vom Könige bezw. von der Staatsregierung nicht nur entgegengenommen, sondern
auch verbeschieden werden.
Die Kompetenz des Landtages bezüglich des hier behandelten Rechtes deckt
sich mit seiner ihm durch §§ 2—19 Tit. VII gemäß 8§ 1 I. c. verliehenen Zu-
ständigkeit, d. h. sie geht soweit, als diese seine Zuständigkeit reicht; in allen ihm
verfassungsmäßig zugewiesenen Angelegenheiten hat er also auch das Recht, nach
§5 19 1.c. „Wünsche und Anträge in geeigneter Form beim Könige vorzubringen“. —
Der König bezw. die Staatsregierung ist wohl durch die Verfassung ge-
bunden, auf diese „Wünsche und Anträge“ einen Bescheid zu geben, doch ist der
König in seinen diesbezüglichen Entschließungen vollständig frei und durchaus nicht
gezwungen, den betr. Petitionen, sei es vollständig oder auch nur teilweise, zu
willfahren.
Das Petitionsrecht bezieht sich — wie auf alle Angelegenheiten der §§ 2
bis 19 l. c. — so speziell auch ganz selbstverständlich auf die in § 2 l. c. genannte
Gesetzgebung, so daß in dem Rechte nach § 19 I. c. ohnedies auch das Recht zur
ständischen Initiative gegeben ist. Vergl. hiezu Art. 1 des Gesetzes vom 4. Juni
1848 über die ständische Initiative: „Das Recht der Initiative für Gesetze, die
keine Verfassungsgesetze sind, steht jeder der beiden Kammern zu.“ Angesichts der
Bestimmungen des genannten Gesetzes über die ständische Initiative (s. dasselbe
unten bei Tit. X § 7) erstreckt sich das Petitionsrecht nunmehr auch anf die
Verfassungs gesetzgebung, zweifellos wenigstens insoweit, als dem Landtage-
eine Initiative auch bezüglich der Verfassungsgesetze zukömmt. v. Seydel erklärt
(Staatsrecht Bd. 1, 360 auf Grund der von ihm ebenda S. 358—360 durchge-
führten Untersuchung dieser Frage): „daß das einfache Petitionsrecht des
Landtages auch auf dem Gebiete der Verfassungsgesetzgebung ein unbeschränktes
ist.“ Auch Pözl sagt in seinem Verf.-Rechte S. 576 Anm. 1: „das Petitions-
recht bezüglich der der Initiative des Monarchen vorbehaltenen Bestimmungen ist
den Kammern nicht entzogen; denn die Verf.-Urk. Tit. X § 7 spricht nur von
„Vorschlägen, die allein den König angehen“. —
Ueber „das Antrags= und Petitionsrecht“ s. weiter Pözl, Verf.-R. § 207
S. 544 ff., ferner besonders v. Seyd. 1, 377 f.
Zu den „Anträgen“ gehören auch die Interpellationen. Ueber diese fs.
§8 18—21 des Geschäftsgangsgesetzes vom 19. Januar 1872, unten Anm. 90
S. 505
78) An Stelle des § 20 Abs. 1 l. c. ist folgende Bestimmung des Abschn. II
Ziff. 1 des Gesetzes vom 19. Januar 1872 über den Geschäftsgang des Landtags
etreten: „Jedes einzelne Mitglied hat das Recht, in dieser Beziehung seine
ünsche und Anträge in der Kammer vorzubringen."“
*6) An Stelle des § 21 Abs. 1 l. c. ist folgende Bestimmung des Abschn. II.
Ziff. 2 des Gesetzes vom 19. Januar 1872 über den Geschäftsgang des Landtags
getreten: „Jeder einzelne Staatsangehörige sowie jede Gemeinde kann Beschwerden
über Verletzung der konstitutionellen Rechte an den Landtag und zwar an jede der
beiden Kammern bringen, welche sie durch den hierüber bestehenden Ausschuß
prüfen läßt und nach Maßgabe der Geschäftsordnung in Beratung nimmt."