512 8§ 90. Die Verfassungsurkunde des Königreichs Bayern. Tit. VIII.
8 4. Der König kann in strafrechtlichen Sachen Gnade er-
teilen, die Strafe mildern oder erlassen; 97) — aber in keinem Falle
irgend eine anhängige Streitsache, oder angefangene Untersuchung
hemmen.
§ 5. Der königliche Fiskus wird in allen streitigen Privat-
rechtsverhältnissen bei den königlichen Gerichtshöfen Recht nehmen. 8)
zustehenden Rechte und haben gleichen Rang und Gehalt mit den Mitgliedern des
obersten Landesgerichts.“ —
"!) Auch das Begnadigungsrecht des Königs ist durch die Reichsgesetz-
gebung im allgemeinen nicht berührt worden. Nur steht in denjenigen Sachen,
in welchen das Reichsgericht in 1. Instanz erkannt hat, nach § 484 der Reichs-
Str.-Proz.-Ordn. vom 1. Februar 1877 das Begnadigungsrecht dem Kaiser zu.
Vergl. oben § 35a S. 104 Anm. 46 zu Art. 11 der Reichs-Verf.
Das Begnadigungsrecht des Königs ist — abgesehen von zwei Fällen —
im übrigen ein völlig unbeschränktes. Beschränkt ist es nur
a. durch Art. 454 des Str.-Ges.-B. von 1813 Tl. II bei Verurteilungen
im Standrechte (Web. 1, 416);
b. durch Art. XII Abs. 1 des Gesetzes über die Ministerverantwortlichkeit
vom 4. Juni 1848: „Bezüglich der in Art. IX vorgesehenen Strafen
(gegen Staatsminister oder deren Stellvertreter) wird der König von
dem Rechte der Begnadigung keinen Gebrauch machen.“
Eine spezielle Art der Begnadigung regelt das Verfassungsgesetz vom
10. Juli 1861 „die Aufhebung der Straffolgen betr.“, dessen weitere Giltigkeit
sowohl durch Art. 3 Ziff. 9 des Vollzugsgesetzes vom 26. Dezember 1871 zum
Reichs-Str.-Ges.-B. (Web. 9, 235) als durch Art. 3 Ziff. 8 des Ausf.-Ges. zur
Str.-Proz.-Ordn. vom 18. August 1879 (Web. 13, 196) ausdrücklich ausge-
sprochen wurde.
Dieses Gesetz lautet:
Art. 1. Die Wiedereinsetzung eines wegen Verbrechens oder Vergehens
Verurteilten in die bürgerlichen und politischen Rechte, welcher infolge der rechts-
kräftigen Verurteilung gemäß der hierüber im Strafgesetzbuche oder in anderen
Gesetzen enthaltenen Bestimmungen verloren hat, kann durch königliche Gnade ge-
währt werden.
Art. 2. Von dem Tage der Eröffnung des kgl. Begnadigungs-Restkriptes
an tritt der Verurteilte in alle durch die Verurteilung verlorenen Rechte wieder
ein, soweit nicht das Reskript eine Beschränkung verfügt.
Mit diesem Wiedereintritt ist jedoch ein Rechtsanspruch auf Wiedererlangung
der infolge des Strafurteils verlornen Aemter, Dienste, Würden und Auszeich-
nungen und der von solchen abhängenden oder aus dem früheren Besitze derselben
herrührenden Rechte, ferner auf Wiedererlangung konfiszierter oder zur Unter-
drückung oder Vernichtung bestimmter Gegenstände oder eingezogener Gewerbs-
und ähnlicher besonderer Rechte, endlich auf Wiedererlangung des Adels und der
davon abhängenden Rechte nicht verbunden.
Art. 3. Ein von dem Könige abgewiesenes Gesuch um Wiedereinsetzung
kann erst nach Ablauf von drei Jahren, von dem Tage der abweisenden Ent-
schließung an gerechnet, erneuert werden.
Art. 4. Dieses Gesetz tritt 2c. 2c. mit dem Tage seiner Bekanntmachung 2c.
in Wirksamkeit.
*8) Hiezu bestimmt § 4 des Einf.-Ges. zur Reichs-Civ.-Proz.-Ordn. vom
30. Januar 1877: „Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, für welche nach dem
Gegenstande oder der Art des Anspruchs der Rechtsweg zulässig ist, darf aus dem
Grunde, weil als Partei der Fiskus, eine Gemeinde oder eine andere öffent-
liche Korporation beteiligt ist, der Rechtsweg durch die Landesgesetzgebung nicht
ausgeschlossen werden.“