8 90a. Die Beilagen zur Verfassungsurkunde. 7. Beilage. 577
In Fideikommiß-Sachen sollen die Appellations-Gerichte 10) durch Vor-
rufung der Beteiligten in Person oder durch Spezial--Bevollmächtigte in kommis-
sionellen Zusammentritten alle weitläufigen Verhandlungen abzuschneiden suchen.
Gegen die Entschließungen der Appellations-Gerichte in Fideikommiß-Sachen
finden Rechtsmittel, wie in streitigen Rechtssachen statt.
8§ 15. Andere Rechtsstreitigkeiten, welche über ein Familien-Fideikommiß
oder über die dazu gehörenden Güter entstehen, bleiben den sonst zuständigen Ge-
richten überlassen.
§ 16. Bei jedem Appellations-Gerichte 1) wird eine eigene Matrikel ge-
führt, welche die in dessen Bezirk befindlichen Familien-Fideikommisse mit einer
vollständigen Anzeige des dazu gehörenden, sowohl Grund= als andern Vermögens,
dessen Ab= und Zugänge, die darauf haftenden Lasten und Schulden, die zur
Tilgung der Schulden und Ergänzung oder Vermehrung der Substanz festgesetzten
Fristen, dann alle an dem Fideikommisse mit Genehmigung des Gerichts vorge-
gangenen Veränderungen enthält. Jeder Beteiligte kann die Einsicht dieser
Matrikel verlangen.
Das Staats-Ministerium der Justitz hat für die Anlegung und Fortsetzung
derselben besonderr Obsorge zu tragen. “)
Titel II.
Von Errichtung der Familien-Fideikommisse.
8 17. Familien-Fideikommisse können nur durch eine ausdrückliche Er-
klärung entstehen.
§ 18. Von Seite des Konstituenten wird zu dieser Erklärung bei einer
Handlung unter den Lebenden das freie Dispositions-Recht über sein Vermögen
und bei einer letztwilligen Verfügung die Fähigkeit zu testieren erfordert.
8 19. Wer ein Familien-Fideikommiß gründet oder vermehrt, darf den
Pflichtteil derienigen, welche darauf nach den Gesetzen ein Recht haben, nicht
verletzen.
8§8 20. Der Pflichtteil wird erst bei dem Tode des Konstituenten bestimmt,
wie sich in diesem Zeitpunkte dessen Kinderzahl und dessen Vermögen, mit Ein-
schluß des zum Fideikommisse gewidmeten Vermögens, verhält. ½)
§* 21. Den zum Pflichtteil Berechtigten kann dasjenige, was ihnen durch
das Fideikommiß zugewiesen wird, in den Pflichtteil angerechnet und selbst der
ganze Pflichtteil des ersten Instituierten mit der Fideikommiß-Eigenschaft belegt
werden, wenn dieses so geschieht, daß er die Wahl hat, ob er das Fideikommiß
mit Belastung des Pflichtteils oder den Pflichtteil allein ohne Belastung, aber
auch ohne die Fideikommiß-Folge annehmen will.
§ 22. Ein Familien-Fideikommiß wird erst
1) durch gerichtliche Bestätigung und
2) durch die Eintragung in die Fideikommiß-Matrikel wirksam.
§ 23. Die Bestätigung wird in einer bei dem betreffenden Appellations=
Gerichte von den Beteiligten oder im Fall eines durch letzten Willen bestimmten
Fideikommisses von denjenigen, welchen dessen Vollzug obliegt, zu übergeben-
den Vorstellung nachgesucht.
") An Stelle der Apellationsgerichte sind nun die Oberlandesgerichte ge-
treten (Art. 36 des Ausführungsgesetzes zum Reichs-Ger.-Verf.-Ges.). Siehe auch
Web. 1, 651 Anm. 10.
1) Vergl. hiezu die oben in Anm. 1 angeführte Instruktion vom 3.
März 1857.
*“.) Vergl. § 7 des Gesetzes vom 11. September 1825, unten in Anm. 14
zu § 26 l. c.
Pohl, Handbuch. I. 37