§ 90a. Die Beilagen zur Verfassungsurkunde. 9. Beilage. 593
8 10.")) Ein Staatsbeamter und öffentlicher Diener kann auch wegen
Verletzung der Amtspflicht durch Handlungen und Unterlassungen vermittelst
rechtlichen Erkenntnisses degradiert oder entlassen werden, welche einzeln mit dieser
Strafe vom Gesetze nicht bedroht sind, wenn nach Inhalt des Strafgesetzbuches
eine dreimalige Disziplinarstrafe fruchtlos geblieben ist.)
§ 11. 10) Um Disziplinarstrafen mit der schweren Folge der Stellung vor
Gericht in Wiederholungsfällen verhängen zu können, wird erfordert, daß (gröbere,
doch durch das Gesetz als Verbrechen oder Vergehen namentlich nicht bezeichnete
Fehler ausgenommen) Fahrlässigkeit, Unfleiß, Leichtsinn oder Unsittlichkeit, unge-
achtet von Vorständen oder höhern Behörden angewandter Ermahnungen, Droh-
ungen, selbst Verweise und Arrest, fortgesetzt werden, also nach der dritten Strafe
den Charakter der Gewohnheit oder Unverbesserlichkeit annehmen lassen. Jedoch
zieht nicht jeder einzelne neue Fehler sogleich die zweite oder dritte solche Dis-
ziplinarstrafe nach sich außer in dem vom Gesetze ausdrücklich vorgesehenen Falle.
8 12. Diese Strafen können bestehen in Verweisen, Geldbußen,
Haus= und Civil-Arrest. Sie sind verschiedener Grade fähig. Die Geld-
strafe kann aber nicht unter fünf und nicht über fünfzig Gulden, ") und der
Arrest nur zwischen vierundzwanzig Stunden und acht Tagen zugemessen werden.
Dabei kömmt es aber nicht auf den Grad, sondern auf die Zahl der
Strafen an, und damit der Charakter solcher Strafen mit ihrer Wirkung erkannt
werde, ist jeder derselben beizufügen, daß es die erste, zweite oder dritte sei, welche
zur Vorgerichtstellung führet. )
8 13. Die Befugnis, Staatsdiener mit Disziplinarstrafen dieser Art zu
belegen, kömmt nach den Bestimmungen des folgenden Paragraphen beim subal-
ternen Personal dem Vorstande jeder Stelle, und zwar, wo derselbe aus mehre-
ren Personen bestehet, dem gesamten Direktorium, gegen das höhere Personal aber
lediglich der vorgesetzten Amtsbehörde zu.
§ 14. Die erste Strafe findet ohne alle Förmlichkeit statt. Die zweite
und dritte erfordern vorherige schriftliche Vernehmung des Fehlenden und kollegiale
Beratung auf schriftlichen Vortrag. Wenn eine kollegiale Beratung nicht ange-
stellt werden kann, so sind die Akten mit der Vernehmung an die vorgesetzte
Amtsbehörde einzuschicken, welche die Strafe zu verfügen hat. Die dritte kann
überdies nur von dem einschlagenden Staatsministerium verhängt werden. —
Ueber jede derselben ist eine schriftliche Ausfertigung mit beigefügter Ursache dem
Straffälligen zuzustellen und die Empfangsbescheinigung zu den Akten zu bringen.
öffentlicher Aemter); 88 81, 83, 84, 87—91, 94, 95 des Reichs-Str.-Ges.-Buches
und Art. 108, 109 und 110 des Ausführungsgesetzes zur Reichs-Str.-Proz.-Ordn.
(Verlust der öffentlichen Aemter); endlich Art. 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 10.
Juli 1861 über die Aufhebung der Straffolgen. Siehe Web. 1, 671 Anm. 4.
*) Bezüglich der §8§ 10—15 vergl. Art. 103—121 des Ausführungsgesetzes
zur Reichs-Str.-Proz.-Ordn. vom 18. August 1879 und das in Anm. 2 lit. n an-
geführte Richterdisziplinargesetz vom 26. März 1881. Siehe hiezu Anm. 10.
) Siehe Art. 103 ff., speziell Art. 110 des Ausführungsgesetzes zur Str.=
Proz.-Ordn. vom 18. August 1879 und nachstehende Anm. 10.
10 Die §§ 11—15 gelten für richterliche Beamte nicht. Bezüglich dieser
s. das in Anm. 8 genannte Richterdisziplinargesetz.
11) Jetzt nicht unter 9 und nicht über 90 Mark, s. Art. 1 des Gesetzes
vom Wo 1875 (Bestimmung der Geldstrafen nach der Reichswährung:
Web. 11, 179).
1,) Vergl. Min.-E. vom 24. September 1824 (Web. 2, 218): „Diszipli-
narstrafen gegen Staatsdiener.“
Pohl, Handbuch. I. 38