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Rußland rüstet seit dem orientalischen Kriege in auffälligster
Weise trotz seiner knappen Finanzen. Es hat vierund wwanzig
neue Divisionen formiert, die im Kriegsfalle nahezu vier-
hunderttausend Mann liefern würden, und Polen ist voll
won Truppen, einer wahren Invasionsarmee. Es hat in
Frankreich wegen einer Allianz angeklopft, aber einen Korb
erhalten, weil das mit seinen inneren Angelegenheiten be-
schäftigte Frankreich jetzt keinen Krieg will, wohl auch Eng-
land nicht traut, auch in Italien ist sondiert worden, und
zwar mit dem Ergebnis, daß dort kein Bataillon zu be-
kommen wäre. Der einzige, nun aber ganz unsicher gewor-
dene Freund Deutschlands in Rußland ist der Kaiser Alexander,
der jetzt einem gesteigerten Cäsarismus huldigt und ganz
unter dem Einfluß der Generale, insbesondere des Kriegs-
ministers Miljutin, sowie der panfslawistischen Agita-
tion steht, welcher umstürzlerische Tendenzen nicht fremd
sind, weshalb sie für die eigene Dynastie eine Gefahr ist.
Insbesondere Miljutin ist ein höchst gefährlicher Politiker,
und der Artikel der „Allgemeinen Zeitung“ über ihn und
Gortschakow ist ganz zutreffend. Die Umgebung des Kaisers
Alexander hält ihn durch die Attentatsfurcht ab, über die
Grenze zu gehen, und dadurch ist Kaiser Wilhelm zu der
des Deutschen Kaisers beinahe unwürdigen Fahrt nach Alexan-
drowo gebracht worden. Der Kaiser von Rußland hat be-
reits seit einiger Zeit unserem Botschafter in Petersburg
gegenüber eine drohende Sprache geführt und in einem eigen-
händigen Schreiben an den Kaiser Wilhelm gesagt, es könne
so nicht fortgehen, daß Deutschland in den orientalischen Kom-
missionen mit Oesterreich stimme, es könne dies die desastre-
sesten Folgen haben. In Alexandrowo hat zwar der rus-
sische Kaiser beteuert, daß er keine feindseligen Gesinnungen
gegen Deutschland hege, gleichzeitig ist aber der französische
Minister Waddington wegen eines Bündnisses mit Rußland
sondiert worden. Deutschland soll also gezwungen werden,