Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Friedrich Wilhelm I. und die Politik von 1715—22. 9 
Linie in Frankreich Verzicht zu leisten. So war zwischen England und 
Frankreich ein Hader über Dünkirchen ausgebrochen, welcher leicht zu 
einem Kriege führen konnte. Nicht weniger beschäftigten die inneren 
Bewegungen der verschiedenen Staaten die Aufmerksamkeit der Mit- 
lebenden. Es versteht sich, daß der Eintritt einer neuen Dynastie in 
Spanien neue Tendenzen hervorrief. Auch hier stellte sich, wie bei 
Polen, die allgemeine Frage heraus, inwieweit das Land nach dem 
großen Wechsel seiner Weltstellung sich in Ansehen zu erhalten ver- 
mögen würde. Es kam zu einem Gegensatz zwischen Kirche und Staat; 
aber noch mehr zwischen denen, welche die administrative Regeneration 
des Mutterlandes und seiner Colonien beabsichtigten; und andern, 
die auf eine Wiedereroberung der verlorenen italienischen Provinzen 
dachten. Auch in Wien bekämpften sich eine spanische und eine öster- 
reichische Faction; aber die Hauptsache war der innere Conflict in 
den beiden mächtigsten westlichen Reichen. 
In Frankreich erhob sich unter dem Regenten aus dem Hause 
Orleans eine Administration, die der Regierungsweise Ludwig XIV. 
im Princip entgegengesetzt war; und die nicht unbedeutenden Kräfte 
der Anhänger derselben gegen sich aufregte. Noch war in England 
die oberste aller Fragen, die Anerkennung der protestantischen Suc- 
cession oder die Rückkehr unter die Herrschaft der Stuartischen Dy- 
nastie nicht zu vollkommener Entscheidung gediehen: den Tories schrieb 
man Hinneigung zu den Stuarts zu. In dem westlichen und füd- 
lichen Europa schien noch alle Tage ein Unmschlag der eben ein- 
gerichteten Verhältnisse möglich zu sein. 
Das große Ereigniß, von welchem alles Spätere abhing, war 
das Uebergewicht, das die Whigs über die in den letzten Jahren 
der Königin Anna wieder mächtig emporgekommenen Tories bei dem 
Regierungsantritt Georg 1 in England erlangten. Dem ersten Ver- 
suche des Prätendenten aus dem Hause Stuart, sein Erbfolgerecht 
geltend zu machen, wurde durch englisch-holländische Waffen ein Ende 
gemacht: es war der Sieg des nationalen und protestantischen Prin- 
eips, dem auch Brandenburg von jeher sich angeschlossen hatte. Einen 
Moment schien es, als würde es hierüber nochmals zum Kriege zwischen 
England und Frankreich kommen; aber eben das Gegentheil geschah. 
Der Regent, der seinen Widersachern gegenüber einer Unterstützung 
bedurfte, suchte dieselbe in England. Er bestätigte den Frieden und 
erkannte nicht allein die hannoversche Erbfolge an, sondern trat auch 
in die engste politische Allianz mit König Georg I: der Prätendent 
wurde nun auch von Frankreich ausgeschlossen. Die Allianz war nicht
	        
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