Full text: Ratgeber für deutsche Lehrer und Erzieher

Die beiden Hauptaufgaben der Staatserziehung. 11 
auf Abrwege, wenn wir die ftaatötreue Erziehung auf eine mahlrehtliche 
Sorm gründen. Denn dann heifhen mir nur eine Belehrung und DBeein- 
fluffung des Wählers, nicht des Staatägliedes überhaupt Dann überjehen 
mir, daß die Nechts- und Pflichtftellung des Staatsgliedes eine viel meiter- 
und tiefergehende ift al3 die wahlbürgerliche oder auch etwa Die laienrichter- 
lihe und felbjtvermwaltende. 
Auf entgegengefestem Standpunftefals Rühlmann u.a. fußt Kerijhen- 
ftreiner in feiner Schrift „Der Begriff der jtaatsbürgerlichen Erziehung”. 
Während Rühlmann mehr von der Politif und der politiihen Bildung 
ausgeht, betrachtet Kerfchenfteiner mit Recht diefe ala Ausläufer der 
richtigen ftaatsbürgerlichen Erziehung. Sie ijt nicht gleich ftaatsbürgerlicjer 
Belehrung oder gleich mirtfchaftlich-technifcher Erziehung oder politifcher Bil- 
dung oder fozialer Erziehung; fie it überhaupt nicht etwas, mas neben an- 
dern Erziehungszielen herginge. Sie it „ziemlich gleichbedeutend mit Er- 
ziehung zu den Tugenden der Rüdfichtnahme und Hingabefittlichfeit, mit Er- 
ziehung zum jelbitlofen Charakter“; fie ijt „Die Verwirklichung eines fittlichen 
Gemeinmwejens” und mill den Bürger dem „unendlich fernen Sdeale eines 
jittlihden Gemeinmefens näher und näher führen”; fie ift „Erziehung zur 
Staatsgemeinschhaft”. Wir fafjen die ftaatstreue Erziehung als eine befondere 
Torm der fittlichen überhaupt auf, nämlich als diejenige, welche dem Gtaat 
und allen andern im Staate wirfenden Gemeinichaften zu dienen fucht, mweil 
diefe im Sinne der GSittlichfeit wirken. Für die allgemeine fittlibe Erziehung 
ift Die ftaafstreue eine notwendige Anpaffung an die Wirflichfeit und das 
Mittel, den BZögling zu befähigen, im Unifrei3 des Staates fittliche Ymede 
zu erfüllen. Die Staatserziehung ift demnach die durchaus begrifflich geredht- 
fertigte Verfelbftändigung eines Hauptteiles der fittlihen und allgemeinen 
Erziehung. Sie ftimmt vollftändig zu Kants Forderung: „Rinder follen nicht 
(nur) dem gegenmärtigen, jondern (auch) dem zufünftig möglich beffern Zu- 
ftande des menfchlichen Gejchledhts, das ijt der Idee der Menfchheit und deren 
ganzer Beltimmung, angemefjen erzogen werden.” 
Die beiden Bauptaufgaben der Staatserziebung. 
Solt die Erziehung ftaategemäß fein, fo muß zunädjit die ftaatsfundliche 
mit Der erziehungsfundlichen Ziel- oder Zmedlehre verglichen werden. Die 
Abhängigkeit beider offenbart fich zunädjjt in dem gemeinfamen Bmede. 
Darum fragen wir, melden Staatezmwed die Staat2lehre aufitellt. 
Ssndem mir uns hierbei im allgemeinen auf $ellinef, XAlfgemeine 
Staatälehre, Dr. Rih. Schmidt, Die gemeinfamen Grundlagen de3 poli- 
tiihen Lebens, Rehm, Mllgemeine GStaatälehre, R. v. Shering, Der 
Bwed im Rechte, beziehen, jtellen wir folgendes feit: 
Das menfchlihe Handeln ift al3 ein bemußtes Handeln nad) Bmeden 
jtet3 von vernünftigen Erwägungen abhängig. Darum muß fich der Staat jederzeit 
bor der fragenden, zwedjegenden und zmedichägenden Vernunft der Menfchen 
rechtfertigen. Das ijt eine Naturnotmendigfeit. Diefe zmedwiürdigende 
Rechtfertigung des Staates vor der Vernunft derer- 
mahjenden Menfhen ift die grundlegende Uraufgabe 
aller taatsgemäßen Schulerziehung. 
„Sozialismus und Anarhismus ftellen die Berechtigung de3 Staates 
überhaupt in Ubrede und behaupten die Möglichkeit einer ftaatslofen Gefell-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.