Full text: Ratgeber für deutsche Lehrer und Erzieher

148 Kehrproben. 
in diefer hochfranzöfifhen Barifer Spradye gefchrieben. Wer dicdhtete, der 
wählte diefe Sprache. Die Kaufleute wandten fie ebenfal® an. Co ver- 
Itanden fte fich leicht. Uberalfhin verbreitete fich diefe gemeinfame Schrift- 
Iprahe. Das trug viel dazu bei, daß fi die Tranzofen al8 ein DVolf 
fühlten. Man verlahht und verfpottet ja jo gern alle diejenigen, melde 
anders reden. Syn Deutfchland Hingegen fehlte es an einer feiten Hauptftadt. 
Sedes neue Kaiferhaus bevorzugte andre Burgen und Städte. edes größere 
Türftenhaus wendete jeine Mundart al Gefebesiprahe an. So ftritten fidh 
in Deutjchland don Y00 bis etma 1500 die Mundarten um den Vorrang. 
Erft durch) Luthers Bibelüberfegung erhielten wir eine allgemeine Schrift- 
Iprache, die in ganz Deutichland angewandt und darum aud) überall ver- 
ftanden mard. 
Ttanfreihs Bodenbejchaffenheit begünstigt den einheitlichen Staat. Dazu 
fommt, daß die Römer die Gallier zu wirflihen und echten Römern madten. 
Gallien bildete feitdem ein Staatsgebiet. Bmar ward e& nachher mandymal 
mehr oder minder geteilt, aber die Sranzofen mußten doc, daß fie zufammen- 
gehörten, und fie fühlten auch), daß fie zufammenftehen müßten gegen die 
Fremden. Ke mehr fi ihre neue franzöfifche Schriftiprache ausbildete, dejto 
mehr fühlten fie fich al$ em DBolf. Gelbjt die Bervohner der unterjochten 
Gebiete fühlten fich meijt nach längerer oder furzer Zeit als sranzofen, und 
fie waren jtolz, wenn fie als foldhe galten. 
So haben mir folgende Gründe fennen gelernt, melde Ttanfreichs 
frühe Einigung begünjtigten und hervorriefen. 
Ttanfreich einigte fi) fo früh: 
1. weil e3 von Anfang an eine Erbmonardie bejaß; 
2. meil e3 anfangs nur einen mäßigen Umfang hatte; 
3. weil die franzöfifchen Herrfher nur auf allmählicde Vergrößerung 
ihres Zandes fannen und viele Gebiete dur Erbichaft und glüdliche 
Kriege gewannen; 
4. weil Frankreich früh eine ftändige Hauptjtadt und eine gemeinjame 
Schrift- und Berfehrsiprache erhielt; 
5. weil e3 bereit3 zur Nömerzeit ein einzige Gtaat3gebiet gebildet 
hatte; 
6. meil die Bodenbefchaffenheit die ftaatlihe Einheit begünftigt; 
7. weil die einzelnen Teilfürjtentümer nidyt auf eine lange Gefdichte 
zurüdbliden fonnten; 
8. weil das franzöfifche Volf nicht mehr in völlig verjchiedene Stämme 
erfiel. 
b) Er and. Unfer öftliher Nachbar ijt gegenwärtig das gemaltigfte 
europäifche Rei. Es hat den größten Umfang und die größte Einmohner- 
zahl. Um 860, zu der Beit, mo aud, da3 Deutiche Reich entitand, warb Rup- 
land von fchmedishen Fürften gegründet. Damals war e& noch nicht jehr 
groß und war duch Polen bon Deutfchland geihieden. E3 hatte lange von 
den tapfern Mongolen zu leiden nnd mar ihnen fogar mehrere Jahrhunderte 
fang untertan. Um 1500 fchüttelte ein ruffifcher Zürft Die mongoliihe 
remdherrfchaft ab. Seitdem juchten die ruffiichen Herrjcher oder Zaren ihr 
Land zu erweitern und zu vergrößern. Da damals Rußland ein reiner 
Birnenftaat um Mosfau war, nannte man die Nuffen Mostomwiter. Bor 
allem ftrebten die Zaren danad), Die Gebiete an der Dftfee zu erwerben. 
Das ift ihnen auch gelungen. Danad) breiteten fie ihre Herrfchaft weit nad)
	        
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