Full text: Ratgeber für deutsche Lehrer und Erzieher

150 Rehrproben. 
Die Einigung aller diefer Staaten ijt ftet3 von einem tapferen Teil- 
jtaate unter einem Fraftvollen Herrjchergefchlechte erfolgt. Im SFranfreid) 
maren e3 die Sranfen in Franzien, in Rußland die Mosfomwiter in und um 
Mosfau, in Britannien die Angelfahfen in England, in Dfterreich-Ungarn 
die Deutfhen unter den Habsburgern, in Deutfchland die Preußen unter 
den Hohenzollern. Hatte das Etammpolf alle ZTeiljtaaten fich mirflid) unter- 
tworfen und einverleibt, dann entitand ein Cinheitzftaat wie Frankreich, 
Stalien, Rußland, Großbritannien; hat aber das führende Volf fih mit den 
übrigen nur verbunden, fo entitand ein Bundesitaat wie da3 Deutiche Neid; 
hat aber das Herriherhaus die beiden ZTeilftanten nur äußerlich verbunden, 
jo entjtand em Doppeljtaat wie die habsburgifche Donaumonardie. 
Wieiftpiedeutfhe Einigung zuftandegelommen? 
Nuplarıd, Frankreich, Stalien, Großbritannien haben fich vornehmlich auf 
vem Wege der Gemalt, der Eroberung geeint und ausgebreitet. Gie ver: 
drängten die Einzelfürjten und machten deren Länder zu Wrovinzen ihres 
NReihes. Darum find auc) diefe Staaten meilt ganz einheitlich und nicht aus 
verbundenen einzelnen Staaten. Sm Deutichland dagegen iit die Einigung 
anders erfolgt. Frankreich ift nichts andres al3 ein Sroßfranzien, Italien 
nicht3 meiter als ein Großpiemont, Aupßland nichts weiter al3 ein Groß» 
mo3fomwien. Das Deutfche Reich Hingegen it nicht ein Großpreußen; Preußen 
hat zwar feit 1600 viele frühere Neichägebiete in fid) aufgenommen; aber 
1866 und 1871 Tieß es außer dem Neichiland noch 24 felbitändige Staaten 
neben fich beftehen. Darum ijt das Deutiche Reich fein Einheitsftaat tie 
Sstanfreich oder Stalien, fondern ein Bundesjtaat. Die Einigung er- 
folgte durch Vertrag. Die Bundesfürften aller 25 Staaten fchlojfen einen 
„ewigen Bund”. Biefer ift daher unfündbar und unlösbar; demnad) ift auch 
Das Reich eine dauernde emige Einrichtung. Das Reich ıft entitanden aus 
der Vereinigung der 25 deutfchen Bundesstaaten unter einem Kaifer. 213 
bor hundert Sahren (1806) daS deutiche Kaifertum erlofh, da gab es mohl 
eine große Zahl deutfcher Staaten, aber fein Deutfches Reich mehr. Diefe 
einzelnen deutfchen Staaten maren wohl völlig unabhängig voneinander. 
Bayern fonnte machen, was e3 wollte, und braudte fih nit un Württem- 
berg, Sadhjfen oder Preußen zu kümmern; aber fie alfe waren ein Spielball 
in der Hand des gewaltigen Korfen, fie mußten das tun, was Napoleon 1. 
ihnen auftrug. 1815 verbanden fie fich wieder; doch bildete Deutjchland nur 
einen lodern Staatenbund zun Schube gegen äußere Feinde. ‘m 
Innern Fonnte jeder Staat faft alles tun, mas er mollte. Syeder Staat 
ordnete alles allein. Wenn der Bundestag in Frankfurt am Plain etwas 
befchloß, dann hatte das noch gar feine Rechtskraft; vielmehr mußte nun jeder 
Staat erjt für fi) den Beichluß zum eigenen Geje erheben. Al man 3. ®. das 
Zehnpfennigporto für einen Brief in Deutfchland einführen mollte, da ver- 
handelten zuerjt die Gefandten der deutichen Bundesitaaten in Srankfurt dar- 
über; al3 die fich geeirtigt hatten, mußte nun jedes Land ein befonderes 
Gefeg Schaffen und beftimmen, daß fortan das Woftgeld für einen Brief 
innerhalb Deutfchlandse nur noch 10 Pfa. betragen folle. Dabei fan es 
leicht zur Uneinigfeit fommen. Wenn fi ein Staat auzfchließt, fan man 
ihn nicht zwingen; feiner braucht fich nad) der Mehrheit zu richten! Das neue 
Deutfhe Reich aber ijt fein Staatenbund, fondern ein Bundesitaat. Reichs» 
gefebe gelten daher ohne meiteres für da8 ganze Reich. Gelbft wenn biejer 
oder jener Bundesftaat dagegen ift, gilt Das Reichsgefeb, denn der Wille der
	        
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