Full text: Ratgeber für deutsche Lehrer und Erzieher

20 Erziehungsfehre und Stautslehre im allgemeinen. 
jinnungs- und Handlungsmeife al das unbedingte Pflichtgebot de3 Lebens 
ım Staate und des Lebens für den Staat anerkennt. Aus fittlic) freier 
Entihliegung und Überzeugung muß dieje ftaatsgemäße Gefinnung entipringen: 
denn jeder Fünftige Staatsbürger foll fich al3 freier Menfch freiwillig — auf 
Grund eiqner Überzeugung und Entfchließung — dem Staate unterwerfen, nicht 
ald Sflave blindlings und ohnmädhtig. Dies erfordert die NRüdjicht auf Die 
perfönlide Wiirde des Schülerd und Bürgers. Darum ijt diefe ftaatsgemäße 
Erziehung ein fittlihes Grundgebot jeglicher Perfönlichkeitserziehung. Mit 
dem befannten Münchener Schulrat Dr Kerfchhenfteiner fagen wir: „Das 
legte Biel aller Erziehung ift eine menschliche Gejellfchaft, die, fo weit als 
möglich, aus jelbftändigen, harmonisch entmwidelten, fittlich freien Verfonen befteht” 
(Staatsbürgerlihe Erziehung, 1. Aufl., ©. 12). Einzel- und Staat3erziehung 
fordern einander. Bo Standpunfte des Staates ijt die Einzelerziehung Mittel 
zu feinem Gedeihen!); vom Standpunkte der einzelnen Perfon it die ftaats- 
gemäße Erziehung da3 Mittel zur gedeihlichen Entfaltuna der Perfon. Nur 
im Staate Fanı fie fid) auswirken und ihre Hiele verwirklichen. So mie die 
einzelne PBerjon zu handeln beginnt, tößt fie auf den Staat und feine Macht, 
jeine Gejebe, feine Forderungen, feine Ordnungen. Die ftaatögenäße Er- 
ziehung ift deshalb für jeden einzelnen Yögling ımm deömillen unerläßlich, 
damit er fich gewöhnt und übt, gemäß der vorhandenen Kultur- und Natur: 
bedingungen feiner Ummelt zıt handeln. Sie hat aber aud) als Biel zu gelten, 
infofern das ftaatsgemäße Verhalten eine befondre Sorm des fittliden ınıd 
altruiftiichen Lebens darftellt. Bezahle ich meine Schulden und gefauften 
Waren, jo erfülle ich das Gebot Zefu: eder Arbeiter ift feines Xohnes wert. 
Entrichte ich meine Steuern, jo helfe ich zugleich YUrmen und Bedrängten. 
Die Charafterftärfe des Staatsbemwußtfeins it nur eine befondere Art 
der Kharafterjtärfe de3 Sittenbervußtfeins und dor alleın des Gemeinfimes. 
Darum ift jedmwede ftreng fittlihe Erziehung jtaatstreu und Yaatzfinnig. 
Herbart fhhreibt mit Nedt: „Die ftärfjte mögliche Sicherung gegen großes 
Unheil liegt in der Sittlihen Bildung der gefamten Nation.“ 
s Lohn und Bmang allein genügen nicht fürs Stant3- und Gefellichaft3- 
leben, wie felbit $hering betont, obwohl er die egoiftifchen Hebel der 
fozialen Mechanik eingehend mürdigt. Miles Staatsbemußtfein heilt die 
Niederhaltung der Selbitfucht. Einzel- und Gemeinmwohl follen eimen Bund 
ichließen. Die für das Staats- und Gemeinwohl fhädliche und fittlich ver- 
merfliche, weil übermäßige Verfolgung des eigenen Nugens beginnt da, two 
der Selbftfinn in Gelbitfucht umfchlägt, übergeht, wo fich der Menfd) der 
Forderung entichlägt: ch bin für die Welt Da. 
Sede ftaat3treue Erziehung beginnt deshalb mit der Einfchränfung der 
natürlichen Selbftfuhht, mit ihrer Zurüdfchraubung in Gelbitjinn, den Staat 
und Gefellfchaft nicht bloß geftatten, fondern fogar heifchen. “Jeder HYögling 
muß bor allem für fi) handeln förmen. Darum ift die Erziehung gur 
perfönliden Handlungsfähigfeit das oberfte, allgemeingültige 
Biel, das fi) mit der GStaatserziehung durchaus verträgt. Sie ijt leibliche, 
erfenntnismäßige, ermwerbliche, fittliche und fünjtlerifche Lebensfähigfeit über- 
haupt. Daraus leuchtet deutlich hervor, wie weit fi) die Sangarme der 
ftaatögemäßen Erziehung in die ganze Erziehung hineinerftreden. 
1) Siehe aud Dr Radbruh, Einführung in die NRedtömijjenichaft (@. 14; 
Dr & Last, Redhtsphilofophie.
	        
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