GSittenlehre und GStaatzfunbe. 51
helligt zu bleiben. Da würde der Mörder fich jagen: Dich verfolgt ja
niemand; da fannjt du bald wieder einen Raubmord wagen. Wir erfennen:
E3 wäre ganz verkehrt, wenn ftet3 die Angehörigen des Ermordeten den
Mörder verfolgen und fejtnehmen müßten; dann blieben die allermeiften
Morde unentdedt und die allermeilten Mörder unbeftraft. Dann nähmen die
Morde überhand, und niemand wäre mehr feines Lebens fiherr. Dan
mußte daher die Angehörigen von der Pflicht befreien, den Mörder zu ver-
folgen und fejtzunehmen.
9. Wer foll den Mörder verfolgen und feftnehmen?
Die Angehörigen werden gewiß alles tun, mas fie fönnen, damit man be
Mörders habhaft wird. Uber in der Regel fönnen fie nicht viel tun. Biel-
leicht Tönen die andern Menschen das maden. Gemiß, wer zufällig etmas
hört und fjieht, der fagt daS und berichtet e&&. Uber fanın man ftodfremden
Menfhen zumuten, daß fie nach dem Mörder fahnden? 3 ift doc aud
gefährlid, einen Mörder zu verfolgen und fejtzunehmen. Aber fie jind aud)
fo in Gefahr. Der Mörder fan fie au in Yufunft bedrohen. Heute er-
Ihlug er deinen Nachbar, morgen vielleicht did. So müßte fi jeder Mann
fagen. So hat man fid) das auch früher gejagt. Darum brach ehemal3 Die
ganze Gemeinde auf, um den Mörder zu hafchen. Aber meld ein Umfturz
und melche Störung! Trüher ging das an. Da gab e3 nod) nicht fo viel
Arbeit. Da gab es auch nicht fo viel Menjhhen. Da wußte man fchon bald,
ter der Übeltäter fein fünne. Da gab e3 noch feine Bahn, mit der ber
Mijfetäter weit fortfahren fonnte. Heute weiß man gar nicht, wohin man
gehen oder fahren follte. Wag follte das often, wenn die ganze Gemeinde
biele Tage und Wochen lang nach dem Mörder forschen ffollte! Wir er-
fennen:
E35 wäre audy ganz verkehrt, wenn die ganze Gemeinde nad) dem
Mörder fahnden müßte Das machte viel zu viel Kojten, Aufruhr und Um-
fturz. Babei würde doh in vielen Fällen der Mörder nicht entdedt, der
Ymed, die Beitrafung des Mörders, nicht erreicht werden. So muß man
auch die Gemeindeglieder von der Pflidyt entbinden, den Mörder zu ver-
folgen und feitzunehmen.
10. Warum muß der Staat den Mörder verfolgen und
feitnehbmen? Der Mörder hat doc nur irgend einen Menjchen umge-
bradt. Warum mengt fich die Polizei, die Obrigfeit, der Staat hinein?
Der Mörder [hädigte nicht nur den Ermordeten und feine Angehörigen,
jondern aud) die ganze Gemeinde und den Staat. Nun könnte man denken,
es genügte jchon, wenn die Ortspolizei nad) dem Mörder fahndete. Früher
hat daS aud; genügt. Uber heute reicht da3 gar nicht aus. Da febt fi
der Mörder auf ein Rad oder ein Mut oder auf die Bahn und ift in furzer
Beit weit meg von dem Drte feiner Untat. Aber die Ort3polizei muß
fogleich anfangen mit den Nacdhjforfchungen; fie muß den Ermordeten be-
hauen, damit feitgeftellt wird, momit der Mann getötet ward, mit einem
Hammer, mit einem Deile, mit einem Meffer, mit einem Revolver. Das ift
wichtig, Man muß aucd nacjfehen, ob der Angefallene fih erft gemehrt
hat, ob er den Mörder vielleicht gefrabt hat ufm. Auch das ift oft fehr
wichtig. Das alles muß man fofort maden, Darum ift die Ort3polizei ver-
pflichtet, fih fofort an Ort und Stelle zu begeben und alles genau zu
unterfudhen. Sie muß den Tatbeftand feftftellen.
Sodann muß fie e3 anzeigen. Der Staat beiteht aus vielen Menfchen.
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