Full text: Ratgeber für deutsche Lehrer und Erzieher

54 Zehrproben, 
Der Staat übernimmt die Uburteilung, weil fie Dadurch unparteiifchl,und 
gerecht wird. 
Der Staat Übernimmt die Aburteilung, weil fich feinem Urteile jeder 
Angellagte unterwerfen muß. 
Der Staat übernimmt die Beitrafung, weil er imftande ift, jeden Ver- 
urteilten fo zu bejtrafen, wie e3 beftimmt worden ift. 
Müpten die Verwandten de3 Ermordeten den Mörder jelber beftrafen, 
jo würden fich viele Mörder der Strafe entziehen. 
Zur gerechten Sühne gehört, daß jeder Schuldige wirklich verurteilt wird, 
und daß jeder aud) die ihm auferlegte und nur die ihm auferlegte Strafe 
abbüßen muß. 
Wer den Miffetäter wirffam beftrafen will, muß unbedingte Macht über ihn 
haben. Nur der Staat hat diefe Übermadjt über den einzelnen Übeltäter. 
Der Staat — die Obrigfeit — übernimmt auf Erden die Beitrafung 
und führt das Schwert nicht umfonft. Die Obrigfeit ift gleih den Eltern 
Gottes Stellvertreterin, die Gottes Gerechtigkeit hienieden vollzieht. 
13. Weldhe Unterfhiede madhtder Staatinden Ber- 
gehen wider das Leben des Menschen? XLange Zeit haben die 
Menjchen gar feinen Unterfchied gemadt, ob ein Menjdy feinen Näcjjten mit 
Abficht oder ohne Abficht, ob er ihn aus Habfucht oder in leidenfchaftlichem 
Born umbrachte, ob der verlegte Menfch gleich ftarb oder erit fpäter, ob der 
Ungefallene bloß verwundet oder wirklich getötet ward. Man fagte damalß: 
Alle diefe Hanvlungen richten Sid) wider das Leben des Menjcdyen ımd find 
daher in gleicher Weife zu beitrafen. Dann fagte man: Wer einem andern 
den rechten Arm abgejchlagen hat, dem wird zur Strafe, zur Vergeltung 
auch der rechte Arm abgejchlagen. Hat er ihm daS linfe Yuge ausgemorfen, 
jo wird ihm al3 Sühne auc) das linfe Auge ausaejtohen. Su hieß e3 ehe» 
mals: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das war die reine Vergeltung, ‚aber 
fie war aud) frhon abaeftuft. 
Unfer Strafgefeg macht auch Unterfciede. ES unterjcheidet den Mord 
bom Totfchlag. Der Mord ift vorfägliche, bösmwillige, mwohlüberlegte, ab» 
fihtliche, aber verbotene Tötung eines Menfcdhen. Der Mörder Hat erit bei 
fih den flaren Entfchluß zu feiner unfeligen Handlung gefaßt. Da hätte ıhm 
das Geriffen fchlagen follen. Da mußte er fich zum mindejten jagen: Du 
mwillft das jchmwerite Verbrechen tun; wenn das herausfommt, mirjt du mit dem 
Tode beitraft. Dies hätte ihn follen abfchreden. Wen das nicht abjchredt 
und zurüdhält vom Verbrechen, der ift ganz und gar verjtodt und underbefjer- 
ih. Den fann daS Gefes nicht mehr fchonen; der ijt eine fchlimme Gefahr 
für alle Menfchen. CS hat fehon öfter Menfchen gegeben, die haben nad» 
einander zei, drei, vier und noch mehr Menfchen ums Leben gebradt. 
Sole VBerbreher muß man unfhädlicd maden. Die Einfperrung in Zudt- 
haus genügt dazu nicht immer. Schon mancher ift daraus entjprungen. Zum 
andern joll die Strafe andre, die auf der Bahn des Verbrechens wandeln, 
abichreden. Die Todesitrafe jchredt no am meilten ab. Den Mördern 
gegenüber befindet fich der Staat in Notwehr. 
Der Totfcdylag it diejenige verbotene Tötung, welche ohne Überlegung, 
ohne Abfiht, ohne höfen Willen in der Übereilung, aus Leichtfinn, Unbor- 
fichtigfeit, in leidenjchaftlicher Erregung vollbradht wird. Hier fehlt der böfe 
Wille und die vorherige Überlegung. Darum bejtraft das Gejeh den Tot- 
Schläger nicht jo hart wie den Mörder, obwohl beide ein Menfchenleben ver-
	        
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