Die türkische
Revolution
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mit Österreich-Ungarn soll und muß auch in Zukunft der oberste Grund-
satz der deutschen auswärtigen Politik bleiben. Ich schließe hier in Ab-
schrift zwei Situationsberichte des Grafen Pourtalös vom 12. und 14.d.M.,
zwei Berichte des Grafen Metternich vom 5. und 15. d. M. und eine Auf-
zeichnung des Staatssekretärs von Schön über dessen oben erwähnte
Unterredung mit dem russischen Abteilungschef Baron Taube bei.“
Ich möchte zu diesem meinem streng vertraulichen Erlaß vom
25. Juni 1908 bemerken, daß, wenn ich fremde Einmischung in unsere Wehr-
verhältnisse ablehnte, ich damit nur unser gutes und selbstverständliches
Recht wahrte, als souveräner und unabhängiger Staat Maß und Umfang
unserer übrigens nur defensiven Zwecken dienenden Rüstungen selbst zu be-
stimmen. Das schloß natürlich nicht aus, daß wir über das Tempo unserer
Schiffsbauten sehr wohl mit England zu einer gütlichen Verständigung
gelangen konnten. Was den Schlußsatz betrifft, der darauf berechnet war,
Österreich-Ungarn bei der Stange zu halten, so war ich mir damals wie
immer nicht im Zweifel darüber, daß, wenn Talleyrand, der gewiegte
Diplomat, bekanntlich jede Allianz mit dem Verhältnis zwischen Reiter
und Pferd verglichen hat, wir bei unserem Zusammengehen mit der Donau-
monarchie den Reiter zu spielen hatten. Mein Zirkularerlaß vom 25. Juli
1908, den ich durch den Grafen Szögyönyi direkt zur Kenntnis des mir
damals schr gnädig gesinnten Kaisers Franz Josef hatte bringen lassen,
trug wesentlich dazu bei, daß Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische
Majestät, als sich ihr am 13. August in Ischl König Eduard als Verführer
näherte, besseren Widerstand leistete als unsere Ahnfrau Eva der Schlange
im Paradies.
In die schwüle Atmosphäre, die im Hochsommer 1908 über Europa lag,
fuhr wie ein reinigendes Gewitter die türkische Revolution. Sie war zum
Teil durch die in Reval von Rußland und England angekündigten Reform-
‚pläne für Mazedonien hervorgerufen worden, denen nach der Ansicht der
türkischen Patrioten der immer finassierende, dabei von beständiger Angst
für sein Leben erfüllte Sultan Abdul Hamid keinen genügenden Wider-
stand leistete. Der türkische Umschwung machte den russisch-englischen
Reformplänen schon deshalb ein Ende, weil die englischen Liberalen, die
am Ruder waren, gestützt auf eine starke Mehrheit im Unterhause, nichts
von einer Vergewaltigung der freiheitlich gesinnten Jungtürken wissen
wollten. Ich ließ in unserer offiziösen Presse keinen Zweifel darüber, daß
wir uns zu der Umwälzung in der Türkei freundlich stellten. Ich konnte
mich darauf verlassen, daß unser Botschafter Freiherr von Marschall, der
sich in Konstantinopel in elf Jahren eine große Stellung gemacht hatte,
mit den Jungtürken gerade so gut auskommen würde wie vorher mit dem
ins Exil geschickten Padischah. Ich konnte also ohne Gefahr, in Kon-