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g. 6.
Privat-Seelsorge, Kranken-Besuche, Verhalten gegen einzelne Parteien und Glicder der Gemeinde.
Der Religions-Lehrer soll ein geistlicher Vater seiner Gemeinde seyn; darum
macht die Privat-Seelsorge in ihrem ganzen Umfange einen bedeutenden Their
seines. Wirkungskreises aus. Er beobachte daher die Denk= und Handlungsweise,
die Lebensart, Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, besonders auch die Kinderzucht der
Gemeindeglieder, die Lagen, Verhältnisse und Umstände, die auf ihre Ansichten und
ihren Charakter einwirken, und suche sich eine moglichst genaue Kenntniß von den.
selben zu verschaffen. Er benüte jede sich darbietende Gelegenheit, namenrlich die
Besuche in den Häusern, die persnlichen Anmeldungen zur Abendmahls-Feier, um
an Einzelne nach ihrem Bedürfnisse Worte der Liebe und des Ernstes, der Warnung
und Ermahnung, der Aufrichtung und des Trostes zu sprechen. Und da nicht nur
das leibliche Wohl mit dem geistigen in enger Verbindung steht, sondern auch das
Zutrauen zu dem Geistlichen durch seinc freundliche Theilnahme an den dußeren
Angelegenheiten der Pfarrgenossen verstärkt wird, so leiste er ihnen durch Rarh und
That allen möglichen Beistand. Bei der Erfüllung dieser Pflichten muß er jedoch
mit der nöthigen Vorsicht und Klugheit zu Werke gehen, sich besonders vor leicht,
gläubiger Aufnahme von Klatschereien, vor einseitigen und ungeprüften Urtheilen
über einzelne Personen, vLor ungebetener und unbescheidener Einmischung in häusliche
und Familien-Angelegenheiten, vor Neugierde und Vorwiß, vor einer unzeitigen
Geschäftigkeit und unangemessenen Hülfsleistungen hüten.
Der Armen und Dürftigen nehme er sich mit Liebe undThärigkeit an
suche aber auch den Quellen und Fehlern der Armuth, der Trägheit und dem Mußig=
gange, entgegenzuwirken.
Zu der Privat-Seelsorge gehdren besonders auch die Kranken-Vesuche, denen
sich der Geistliche mit aller Gewissenhaftigkeit zu unterziehen hat. Er nahe sich nicht
nur jedem Krankenbette, zu welchem er gerufen wird, ohne Weigerung und Verzöge-
rung, sondern wecke und erhalte auch die Meinung von sich, daß er diese Pflichr
gerne erfülle, und gehe selbst ungerufen zu Kranken, von welchen er sich eine freund-
liche Aufnahme versprechen darf. Ernst und Liebe, Freimüthigkeit und Freundlich-
keit begleiten ihn zum Krankenlager. Die Warnungen und Ermahnungen, die Trö-
stungey und Erquickungen des Evangeliums lege er dem Herzen und Gewissen der