Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Lage zur See. 61 
  
Sie, meine Herren, tritt die ernste Pflicht heran, mir zu helfen, dieses 
größere deutsche Reich auch fest an unser beimisches zu gliedern.“ 
Diese „Angliederung“, von welcher der Kaiser spricht, war nur denk- 
bar durch eine Weltpolitik, und eine solche nur möglich, wenn eine ge- 
nügend starke Flotte zur Berfügung stand. Oas Kaiserliche Progranm 
lag anderseits in der geraden Entwicklungslinie des ODeutschen Reiches. 
Es mußte einmal aufgestellt und durchgeführt werden. 
Bismarck hatte gesagt: „Bis zum Jahre 1866 trieben wir preußisch- 
deutsche, bis 1870 deutsch-europäische Politik, seitdem Weltpolitik. — 
Bei der Berechnung der zukünftigen Ereignisse müssen wir auch die Ber- 
einigten Staaten ins Auge fassen, die sich zu einer jetzt von den meisten 
noch ungeahnten Gefahr auf wirtschaftlichem Gebiete entwickeln werden. 
Das eine wird sich in Zukunft vom anderen nicht trennen lassen. Der 
Krieg der Zukunft ist der wirtschaftliche Krieg, der Kampf ums Dasein 
im großen. Mögen meine Nachfolger dies immer im Auge behalten und 
dafür sorgen, daß, wenn dieser Kampf kommt, wir gerüstet sind.“ Und 
ein anderes Mal sagte der große Kanzler: „Die Pflege eines starken und 
stolzen Nationalgefühles ist unsere heilige Pflicht, und zumal die Deut- 
schen im Auslande können und sollen stets wissen, daß 50 Millionen Deutsche 
bereitstehen, deutsche Ehre und deutsche Interessen zu vertreten.“ Und 
wiederum sagte er im Jahre 1885, daß die Steigerung der Bewilligungen 
für die Flotte aus einer sehr erfreulichen Ursache herrührte, „nämlich 
weil der deutsche Handel in die Weite und Breite sich mehrt und also eines 
größeren Schutzes bedarf. Daß wir so viel Schiffe in den asiatischen 
Gewässern und so viele Interessen an der Ost- und Westküste von Afrika 
zu schützen haben würden, haben wir früher nicht geglaubt. Aber nun 
dieses erfreuliche Ergebnis, daß ein größerer Seehandel eines größeren 
Schutzes durch die Flotte bedarf, nun wiederum auf das Konto unserer 
neuesten Vorlage zu setzen, das ist doch auch nicht gerecht.“ — 
Kaiser Wilhelm hat mit seinem Programm die Bismarcksche Politik 
in zeitgemäßer Form und Art fortgesetzt. Daß jenes sein Bekenntnis am 
18. Januar 1896 keine Augenblickseingebung war, sondern seit seiner 
Thronbesteigung ihm fest vor Augen stand, ist längst eine allgemein an- 
erkannte Wahrheit. Die Periode Caprivi war allerdings nicht geeignet ge- 
wesen, die Verhältnisse den kaiserlichen Zielen näherzuführen. 
Versuchen wir aber, uns diese Periode fortzudenken, so wäre doch 
der Mangel einer deutschen Flotte auch politisch in vollem Umfange 
negativ wirksam geblieben. Die Lücke konnte nur allmählich und nur 
durch eigene Kraft überwunden werden. Die fremde Kraft der englischen 
Flotte nach dem Ergänzungsprinzipe zu benutzen, war ein in der Wurzel 
ungesunder Gedanke. Er erinnerte an jenen Zustand, als vor der Grün-
	        
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