Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

64 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannten. 1887—1894. 
Schiffsmaterial aufwies. Geniale Konstrukteure bauten jene damals 
vielbewunderten Schiffe von bisher nie dagewesener Größe und Schnellig- 
keit. Der marinepolitische Gedanke dabei war: daß die langgestreckten 
Küsten der italienischen Halbinsel ein gewisses Maß von Schutz — bei 
der Beschränktheit der für Flottenbauten zur Verfügung stehenden Mittel 
— nur durch eine Anzahl schneller und mächtiger Schiffe erbalten könnten, 
die bald hier, bald dort überraschend aufträten und sich vermöge über- 
legener Geschwindigkeit zu starken, feindlichen Schiffsverbänden ent- 
ziehen könnten. Es war gelungen, die Flotte Italiens an die dritte Stelle 
unter den Mächten zu bringen und ihr hohe Achtung zu verschaffen. Selbst 
wenn man in den Folgejahren auf dieser Bahn ohne Unterbrechung und 
Abschweifung hätte weiterschreiten können, so wäre an eine Emanzi- 
pation Italiens von der Notwendigkeit englischen Flottenschutzes doch 
nicht zu denken gewesen. Nach dem kolonial-politischen Zusammenbruche 
Mitte der neunziger Jahre trat auch für die Flotte ein verhängnisvoller 
Rückschlag ein. 
In einer noch weit weniger günstigen Lage befand sich die Marine 
unseres österreichisch-ungarischen Bundesgenossen. Das einzige Gute, 
was sie aufwies, war ein vorzügliches Offizierkorps. Um das Schiffs- 
material aber stand es sehr wenig gut, in einem Kriege hätte die öster- 
reichisch- ungarische Flotte sich auf die strikte Küstenverteidigung be- 
schränken müssen. 
Ob die Flotte des Russischen Reiches in jener Zeit ein wirksamer 
Bundesgenosse der französischen gewesen wäre, kann man bezweifeln. 
An Schiffszabl übertraf, wie gesagt, die russische Marine die deutsche 
um ein nicht unbeträchtliches Maß; mit der Schlagfertigkeit aber stand 
es ebenso mangelhaft wie mit dem Geschwaderdienste und den Friedens-- 
übungen überhaupt, gar nicht zu reden von der Organisation. Aus diesen 
Gründen vielleicht hat man im JZahre 1892 keine Flottenkonvention als 
Ergänzung der Militärkonvention zwischen Frankreich und Rußland ge- 
schlossen. Ohne Zweifel galt es als die selbstverständliche Aufgabe der 
russischen Flotte, in einem Kriege zwischen Dreibund und Zweibund 
die eigenen Ostseeküsten zu verteidigen und, wenn die Berhältnisse es 
gestatteten, die deutschen Ostseeküsten anzugreifen. Daß man sich russischer- 
seits aber viel von einer solchen offensiven Aktion versprochen und sie dem- 
gemäß im Frieden vorbereitet hätte, ist unwahrscheinlich. 
Aus diesen Machtverhältnissen zur See ergab sich die Möglichkeit 
für Großbritannien, in seiner glänzenden Isolierung zu bleiben und dabei 
aktive Politik großen Maßstabes zu treiben; wohl gemerkt, hatte diese 
Möglichkeit vorher nicht im selben Maße bestanden, nämlich solange 
die deutsch-russische Rückversicherung vorhanden war. Als damals, Ende
	        
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