Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Lage zur See. 65 
  
  
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der achtziger Zahre, England so auffällig und demonstrativ an den Orei- 
bund heranrückte, als Crispi sagen konnte: „für das Festland der 
Dreibund, für die Seeinteressen England“ — da schrieb die „Mor- 
ning Post“ über Deutschland und England: beiden Ländern werde täglich 
einleuchtender, daß sie zusammen stehen und fallen müßten, es bedürfe 
deshalb keines papiernen Bündnisses zwischen ihnen —, da handelte es 
sich nicht um eine Gefälligkeit, die England dem Oreibunde erwies, son- 
dern um ein dringendes Anlehnungsbedürfnis der britischen Politik. 
Wenige Zahre nachber bestand dieses Bündnis nicht mehr, denn der 
deutsch-russische Neutralitätsvertrag hatte aufgehört zu existieren, auf 
dem Festlande standen sich zwei Mächtegruppen gegenüber, und das 
Organ der englischen Regierung, der „Standard“, sprach von dem „iso- 
lierten Deutschland“. » 
Ferner ergab sich aus dieser Machtstellung Englands mit subjektiver 
Selbstverständlichkeit das Berlangen der Botmäßigkeit von den Mächten, 
welche es als seine „Freunde“ betrachtete und wirklich wünschte, sie alo 
solche betrachten zu können. Wiederholt zeigte sich auch später in eng- 
lischen Redeein und Publikationen jene naive Verwunderung darüber, daß 
das Deutsche Reich nicht volle Befriedigung darin fände, der Beherrscherin 
der Ozeane ein dienstwilliger Freund zu sein. Im Vertrage von 1890 hatte 
Großbritannien das Entgegenkommen, dessen es bedurfte, gefunden. 
Als es nachher gelegentlich ausblieb, war der Unmwille groß. 
Das Oeutsche Reich aber versuchte Kolonial- und Weltpolitik zu 
treiben ohne Flotte und sollte bald empfinden, was das bedeutete, nach- 
dem die Festlandgruppierung der Mächte sich so unglücklich geändert 
hatte. Unter diesem Gesichtspunkte war auch der russisch-englische Pamir- 
vertrag (1895) ein Symptom für die veränderte Lage, anderseits der 
„Wörth-Zwischenfall“ auf der Reede von Cowes. Dorthin war der Deutsche 
Kaiser zu den großen Segelregatten mit dem Deutschen Panzergeschwader 
gekommen. Am Jahrestage der Schlacht von Wörth bielt der Kaiser 
an Bord dieses Schiffes eine Ansprache an die Mannschaft über jene 
denkwürdige Schlacht. Daran nahm die Londoner Presse starken An- 
stoß und erdreistete sich zu der Bemerkung: der Kaiser würde gut getan 
haben, in britischen Gewässern eine Bezugnahme auf den Oeutsch-Fran- 
zösischen Krieg zu unterlassen. Das machte damals tiefen Eindruck auf 
die öffentliche Meinung Deutschlands und wurde mit Recht als Som- 
ptom für den Beginn einer völligen Veränderung der Lage aufgefaßt. Im 
Jahre 1889 war es gewesen, ale bei derselben Gelegenheit — den Segel- 
regatten von Cowes — der Prinz von Wales in einer Ansprache gesagt 
batte: nach seiner Uberzeugung würden die große deutsche Armee und 
die britische Flotte dazu dienen, den Weltfrieden zu erhalten. 
Graf Reventlow, Oeutschlands auswäriige Polkiik 5
	        
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