Zur Einführung. IX
und .· die ãäußeren Ztaliens zu den Westmächten und zu Rußland. Man
sah damals von Berlin ebenfalls mit wachsendem Vertrauen nach Italien
hin und schenkte wohl mehr Vertrauen, als angebracht war. Immerhin
ließ die italienische Politik gerade während jener Jahre gelegentlich Hin-
neigung zu festerem Anschlusse an das Deutsche Reich erkennen, während
ernsthafte Mißbelligkeiten mit Frankreich gleichzeitig, wenn auch vorüber-
gebend, eintraten. Man hoffte bei uns auf die Möglichkeit italienisch-
österreichischen Ausgleiches, hoffte auch auf Beschwörung der russischen
Gefahr durch die Monarchenbegegnung von Baltischport, und über allen
Hoffnungen lag der Glaube an die völkerverbindende und Gegensätze
ausgleichende Kraft der Zivilisation und Kultur durch das Mittel des
immer höher gesteigerten internationalen Weltverkehrs und Handels.
Aus allen diesen hier nur ganz flüchtig anzudeutenden Verhältnissen
und Momenten ergibt sich, wenn man die damals in Oeutschland über-
wiegend verbreitete Friedenozuversicht hinzunimmt, ein Bild von außer-
ordentlicher Bielfarbigkeit. Man mochte die Entwicklung der ver-
schiedenen der Zukunft des Oeutschen Reiches drohenden Gefahren noch
so ernst oder gar pessimistisch einschätzen, so blieb doch für den Beobachter,
der nicht an einer der diplomatischen Zentralstellen Europas selbst arbeitend
oder leitend beteiligt war, keine Möglichkeit, anders als nach Indizien
zu urteilen. Auf der anderen Seite haben die mit Recht vielbesprochenen
belgischen Gesandtenberichte den Beweis geliefert, daß kluge, nüchtern
beobachtende und urteilende Diplomaten auch von Berlin aus ein rich-
tiges Bild vom Gange und von der Richtung der DOinge gewinnen
konnten und deshalb gewinnen mußten. Oie leitenden deutschen Diplo-
maten und Staatomänner sind anscheinend durch ständigen Wechsel von
Furcht und Hoffnung in der Objektivität ihres Urteils und in der Ziel-
sicherheit ihres Handelns und Unterlassens maßgebend beeinträchtigt
worden.
Wenn der Verfasser unter solchen Verhältnissen den Entschluß faßte
und durchführte, eine Ubersicht der „Auswärtigen Politik Deutschlands
von 1888 bis 1913¾ zu geben, obgleich auch für die vergangenen ZJahre
und Jahrzehnte keine einzige der Fragen und Begebenheiten dem Ge-
heimnisse des Aktenschrankes entwachsen war, so erschienen dem Verfasser
doch die folgenden Gründe maßgebend:
Eine solche oder ähnliche politisch-geschichtliche Darstellung der Nach-
biomarckischen Periode, war nicht vorhanden. Einzelfragen, einzelne Ge-
biete und Ausschnitte waren behandelt worden und besonders kritische
Betrachtungen in Form geschichtlicher Aufsätze und als politische Poleimik
waren in Fülle vorhanden. Die erstgenannte Kategorie umfaßt aber nur
Teile jener Periode, die zweite geht zu wenig in die Einzelbeiten, in die