Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

76 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen obne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
zu wahren, denn im anderen Falle wäre zweifelhaft gewesen, ob ein 
Appell an befreundete Mächte den entsprechenden Erfolg gehabt hätte. 
— Mit dem Worte: „die Unabhängigkeit des Landes“, stellte sich der 
Kaiser auf einen von England nur eingeschränkt gebilligten Standpunkt. 
Der Ausdruck „bewaffnete Scharen“ brauchte nicht anzudeuten, daß und 
von wem diese Scharen indirekt angetrieben und geleitet worden seien. 
In Deutschland erregte das Telegramm beinahe allgemeine Be- 
geisterung. Man nahm es für ein Zeichen, daß die Politik des Deutschen 
Reiches nunmehr auf die burische Sache festgelegt worden sei. Die Som- 
pathie des deutschen Volkes für die Buren und ihre Sache, die kolonial- 
politischen Pläne, die man für die Entwicklung deutsch-afrikanisch-buri- 
scher Beziehungen damit verband, schließlich die Erbitterung über die Be- 
handlung, welche Großbritannien dem Oeutschen Reiche, seiner Politik, 
der Person des Deutschen Kaisers durch die britische Presse hatte ange- 
deihen lassen — das alles hatte einen allgemeinen Beifallssturm in Deutsch- 
land zur Folge, ein erlöstes „Endlich!“ Das ganze deutsche Volk stand 
hinter der Depesche des Kaisers — wie es sie verstand. 
In der englischen Presse rief die Depesche eine Explosion von Wut, 
Angriffen und Beschimpfungen gegen das Deutsche Reich hervor. Der 
Feldzug begann mit einer Oepesche des Berliner „Times“-Korrespon- 
denten an sein Blatt: „Dieses Telegramm darf gleichwohl nicht nur als 
ein Ausdruck der persönlichen Gefühle des Kaisers aufgefaßt werden. 
Es wurde aufgesetzt im Palais des Kanzlers, wo der Staatssekretär des 
Auswärtigen, Baron v. Marschall, der Staatssekretär des Reichs-Marine- 
Amts, Admiral Hollmann, und andere auf Aufforderung des Fürsten 
Hohenlohe mit dem Kaiser konferierten. Das Telegramm gewinnt des- 
halb die Bedeutung eines Staatsdokumentes von höchster Bedeutung, 
um so mehr, als es eine unumwundene Anerkennung der Unabhängigkeit 
der südafrikanischen Republik enthält.“ 
Ein Blatt sagte: „Richt Glückwünsche, sondern Beileid des Kaisers 
an Buren und Briten wäre am Platze gewesen.“ Wolle der Kaiser Krieg 
mit England führen, „wo wären seine Berbündeten?“ Ein anderes Blatt 
sprach von einer höchst unfreundschaftlichen Handlung gegen das eng- 
lische Bolk, ein drittes von einem internationalen Affront, und die „Mor- 
ning Post“ sagte: Die britische Nation werde dieses Telegramm niemals 
vergessen, sondern in der Orientierung ihrer auswärtigen Politik immer 
daran denken. In London fanden Mißhandlungen Deutscher auf den 
Straßen statt, die Schaufenster deutscher Kaufleute wurden zertrümmert, 
kurz, man hatte in England jegliche Haltung infolge der Plötzlichkeit der 
Ereignisse verloren und offenbarte Auffassungen und Gefühle, die man 
bisher mit aller Vorsicht zu verbergen gesucht hatte. Zene britische Stim-
	        
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