Der Weg zur Krügerdepesche. 79
Gegen die Erregung des englischen Volkes könne man mit Beweisgründen
nicht ankämpfen.
Betrachten wir den Standpunkt der amtlichen Politik des Deutschen
Reiches.
Es ist gezeigt worden, wie der Bertrag von 1884 und die in ihm ent-
haltene Einschränkung der transvaalschen Unabhängigkeit durch den Ar-
tikel 4 (daß die südafrikanische Republik Verträge mit anderen Nächten
— abgesehen vom Oranjefreistaat — nur mit Genehmigung Englands
schließen dürfe) die Grundlage für beide Seiten bildete. Freiherr v. Mar-
schall hatte mit seinen Darlegungen vollkommen recht. Weder die freund-
lichen deutsch-burischen Beziehungen, noch die Entsendung der deutschen
Kreuzer, noch endlich die geplante Entsendung eines Landungskorps von
der Delagoabucht zum Schutze der Oeutschen nach Prätoria standen im
Widerspruche zu den Verträgen. Auch das kaiserliche Telegramm tat
es nicht, denn die in diesem betonte „Unabhängigkeit“ bezog sich im Zu-
sammenbange lediglich auf eine Unabhängigkeit, die der Vertrag von
1884 gewährte.
Freiherr v. Marschall, den man als den Träger jener Politik anzu-
sehen hat, arbeitete während seiner Amtsführung mit Vorliebe auf Grund
rechtlicher Argumente. Beim deutsch-englischen Vertrage von 1890 ver-
teidigte er bzw. der Reichskanzler deutsche Zugeständnisse immer wieder
damit, daß deutsche Anfprüche auf die betreffenden Gebiete juristisch
nicht zu rechtfertigen gewesen wären. ODas gleiche geschah hinsichtlich des
deutsch-französischen Bertrages über die Abgrenzung des Hinterlandes
von Kamerun; ebenfalls zu ungunsten des deutschen Kolonialgebietes.
Das Umngekehrte trat ein, als Freiherr v. Marschall gegen den Bertrag
Großbritanniens mit dem Kongostaate 1894 Protest erbob. Dieser Pro-
test hatte, aus früher erwähnten Gründen, Erfolg.
Man hat den Eindruck, als ob Marschall sich den Blick über die ent-
scheidende Bedeutung der Machtfrage in den Bestrebungen der Bölker
und in ihren internationalen Beziehungen hätte trüben lassen. Oder
aber, wenn man annehmen wollte, daß er mit dem Bertrage von 1884
nur als Kulisse gearbeitet hätte, um die deutsch-transvaalschen Bezie-
hungen weitgesteckten Zielen entgegenzuführen, so blieb die entscheidende
Frage offen: wie konnte das Deutsche Reich gegen einen entschlossenen
Widerstand Großbritanniens solche Ziele erreichen? Es wurde erwähnt,
wie nach der Krügerdepesche ein Londoner Blatt den Kern der Sache
mit der ironischen Frage erfaßte: wie Deutschland sich denn eigentlich
einen Krieg mit Großbritannien dächte. Dafür fehlten in der Tat alle
Mittel, während die deutschen Küsten, die deutschen Kolonien und der
ganze deutsche Uberseehandel, Dinge, welche die Marschallsche Politik