80 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—19os.
vor allem fördern und ausbreiten wollte, der englischen Flotte hilflos
preisgegeben waren. Man steht vor einem Nätsel, wenn man nicht an-
nehmen will, daß Marschall an ein Nachgeben Großbritanniens glaubte
oder auch der Ansicht war, das amtliche Großbritannien werde nicht nur
formal, sondern sachlich von Cecil Rhodes und seiner Politik abrücken.
Die Deutsche Regierung kann damals nicht über die Stärke der in
und für Südafrika treibenden britischen Kräfte unterrichtet gewesen sein.
Man hatte auch keinen Anhalt gehabt, um die Wirkung auf die Stimmung
der öffentlichen Meinung in England vorher zu ermessen. Sie trat nach
der Depesche mit einer Heftigkeit auf den Plan, die sicherlich nicht er-
wartet worden war. Sie gestattete der britischen Regierung eine tat-
sächliche Bewegungsfreiheit, die sie sonst nicht gehabt hätte, und stützte
mit entscheidender Kraft den imperialistischen Gedanken, welcher sich da-
mals in der Person Nr. Joseph Chamberlains zu vereinigen begann.
Die Ausbrüche der öffentlichen Meinung in Großbritannien ließen keinen
Zweifel darüber, wie tief der Gedanke eines großen geeinten britischen
Südafrika schon in Fleisch und Blut der britischen Nation eingedrungen war.
Der Kolonialsekretär Mr. Chamberlain sprach sich damals mit Offen--
heit aus, als er auf die Angriffe antwortete, die von englischen Liberalen
gegen ihn gerichtet worden waren: Das Ziel jeder britischen Regierung
in Südafrika sei die Erhaltung der Stellung Englands als die der dort
vorherrschenden Macht (paramount power). Diese Stellung sei durch
bereitwillige Hingabe von Gut und Blut gewonnen, ohne welche es ein
Südafrika im Sinne des Gebrauchsowortes jetzt nicht geben würde. Das
zweite Ziel der englischen Politik sei die Herstellung eines Zustandes,
wie er in Kanada bereits mit bestem Erfolge berbeigeführt worden sei.
Es sei der höchste Wunsch Cecil Rhodes' gewesen, auf friedlichem Wege
eine Vereinigung aller südafrikanischen Staaten zu einem gemeinsamen
Ziele herbeizuführen, unter dem Schutze der britischen Flagge. Leider
habe er diese Absicht nicht durchführen können, aber sein Ziel müsse das-
jenige jeder britischen Regierung bleiben.
Blicken wir auf die seitdem vergangenen Jahre zurück, so erscheinen
jene Worte Chamberlains als das programmatische Bekenntnis eines weit-
blickenden Staatomannes, der weiß, was er will. Chamberlain hatte von
seinem Standpunkte aus mit der Feststellung recht, daß jede britische Re-
gierung — wie nun einmal die Berhältnisse in Südafrika gestaltet worden
waren — die Bereinigung unter der britischen Flagge anstreben müsse.
Oie englischen Minister konnten mit Recht fragen: welche Macht ist willens
und imstande, uns zu hindern? Oie europäische Konstellation war allen
derartigen Plänen seit 1890 günstig. Obendrein hatte nach der Krüger-
depesche der französische Botschafter, in London der britischen Regierung