Dle englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 91
die burischen Germanen der Anglisierung entziehen zu können. Die von
der deutschen Politik hier angestrebte „Solidarität der Festlandmächte“
zeigte sich als Phantom: weil dieses Mal das Problem ein überseeisches
war, und weil Deutschland sich nicht dem Zweibunde anschloß wie in Ost-
asien, sondern vom Zweibunde Unterstützung in einer Frage verlangte,
die eine europäische werden konnte, dabei an und für sich der russischen
Politik gleichgültig war.
Zn dem vielmaschigen Kausalnetze der auswärtigen Politik mit ihren
Macht- und Wirtschaftsfragen wird man bei jeder neuen Erscheinung,
bei jedem neu auftretenden Momente nicht eine einzige Ursache, sondern
eine ganze Anzahl zu suchen haben. Sie häufen sich und verstärken ein-
ander, bis schließlich der letzte „Tropfen“ kommt. Woher dieser kommt
und wie er beschaffen ist, pflegt gemeinhin nicht von besonderer Wichtig-
keit zu sein. Ein englischer Seeoffizier schreibt in seiner preisgekrönten
Arbeit über das Wesen der Seeherrschaft das Folgende:
„Wir (Großbritannien) ziehen nicht in den Krieg aus sentimentalen
Gründen. Ich zweifle, ob wir das jemals taten. Krieg ist das Ergebnis
von Handelestreitigkeiten; seine Ziele sind, dem Gegner diejenigen Han-
delsbedingungen durch unser Schwert aufzuzwingen, welche wir als not-
wendig erachten zum Vorteile unseres Handels. Wir lassen alle Arten
von Kriegsursachen gelten, aber zugrunde liegt ihnen allen der Handel.
Ob die Ursache des Krieges die Verteidigung oder der Erwerb einer stra-
tegischen Position sein mag, ob der Bruch von Berträgen oder was sonst
noch — alle Ursachen führen sich auf den Handel als gemeinsame Wurzel
zurück, aus dem einfachen und schlagenden Grunde, weil der Handel
unser Lebeneblut ist!s#
Unter diesem Gesichtspunkte müssen wir auch die nach außen bin
ironischen und verächtlichen, im Grunde aber beunruhigten und besorgten
Kommentare der britischen Presse verstehen, als Kaiser Wilhelm An-
fang 1896 jene Rede bielt: das Deutsche Reich sei ein Weltreich geworden,
es gelte nun, die Deutschen außerhalb der Grenzen des Reiches mit diesem
fest zusammenzuschließen. Eine objektive und billige Beurteilung konnte
in jenen Worten des Kaisers nichts Bedrohliches, auch keine Eroberungs-
pläne finden, vielmehr nur Richtlinien für naturgegebene und deehalb
legitime Bestrebungen eines wachsenden und handeltreibenden Volkes.
Das aber war es gerade, was Großbritannien als eine „Herausforderung“
und Bedrohung seiner vitalen Interessen erschien, und um diesen eigent-
lichen Grund der Beunruhbigung zu verbergen, schob man Deutschland,
vor allem dem Deutschen Kaiser, napoleonische Eroberungspläne unter.
Die Aufregung über diese vermeintlichen Pläne war künstlich und in sich
unwahr. Hätten sie bestanden, so würde am allerwenigsten Großbritannien