Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

92 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1896—1903. 
  
nötig gehabt haben, sie zu fürchten. Was Großbritannien fürchtete, war 
der deutsche Handelswettbewerb. 
Der Kernpunkt und das Wesen jener fortgesetzten internationalen 
Erörterungen fand seinen Ausdruck am prägnantesten in dem damals 
vielbesprochenen Aufsatze der Londoner Wochenschrift „Saturday Re- 
view“ vom Herbst 1897. Der ungenannte Verfasser knüpfte an die Zu- 
sammenkunft zwischen dem Oeutschen Kaiser und dem Zaren und die 
starke Besserung der deutsch-russischen Beziehungen an, vor allem aber 
an ein dem Fürsten Bismarck von den „Times“ zugeschriebenes Wort: 
„Der Kernpunkt der Unterhaltung zwischen dem Kaiser und dem Zaren 
muß sich um England gedreht haben.“ Bismarck habe, so sagte die Zeit- 
schrift, längst erkannt: „was schließlich mun auch das englische Volk ein- 
zusehen beginnt, daß es in Europa zwei große unversöhnliche, entgegen- 
gesetzte Kräfte gibt, zwei große Nationen, welche die ganze Welt zu ihrer 
Domäne machen und von ihr Handelstribut einfordern möchten. Eng- 
land .. und Oeutschland . wetteifern miteinander in jedem Winkel 
des Erdballes. Im Transvaal, am Kap, in Mittelafrika, in Indien, in 
Ostasien, auf den Inseln der Südsee und im fernen Nordwesten, überall, 
wo die Flagge der Bibel und der Handel der Flagge gefolgt ist, da hat 
der deutsche Handlungsreisende mit dem englischen Hausierer gestritten. 
Wo es gilt, ein Bergwerk auszubauen oder eine Eisenbahn zu bauen, 
wo Eingeborene von der Brotfrucht zur Büchsenfleischnahrung, von der 
Enthaltsamkeit zum Handelsschnaps binübergeleitet werden sollen, da 
suchen Deutsche und Engländer einander zuvorzukommen. Eine Million 
kleiner Nörgeleien schafft den größten Kriegsfall, den die Welt je ge- 
sehen hat. Wenn Oeutschland morgen aus der Welt vertilgt würde, so 
gäbe es übermorgen keinen Engländer in der Welt, der nicht um so rei- 
cher wäre. Bölker haben jahrelang um eine Stadt oder um ein Erbfolge- 
recht gekämpft; müssen sie nicht um einen jährlichen Handel von fünf 
Milliarden Mark Krieg führen 2“ 
„Was Biemarck sich vorstellte und was auch wir bald einsehen werden, 
ist die Tatsache, daß nicht nur der greifbare Interessenstreit zwischen 
England und Deutschland vorhanden ist, sondern, daß auch England die 
einzige Großmacht ist, die Deutschland ohne enormes Risiko und ohne 
Zweifel am Erfolge bekämpfen kann ... Nach diesem Erfolge werde 
man an Frankreich und Rußland sagen: sucht euch Kompensationen, 
nehmt euch innerhalb Deutschlands, was ihr wollt, ihr könnt es haben.“ 
Der Schluß des Artikels wurde durch die seitdem so oft zitierten Worte 
gebildet: „Germaniam esse delendam.“ Ungefähr um dieselbe Zeit 
äußerte sich in Deutschland Professor Schäffle über englische und deutsche 
Seeinteressen in Ausführungen, die für die damaligen Stimmungen und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.