Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

98 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
schen Besatzungen würden den Engländern schon zeigen, daß Deutschland 
nicht mit sich spaßen ließe. Tatsächlich können Kriegsschiffe in solchen 
Fällen an und für sich nie etwas anderes bedeuten als eine politische 
Demonstration, gewissermaßen den Fehdehandschuh: man wartet, ob 
der andere ihn aufnehmen wird. Hätte man 1895 eine gutgeschulte und 
kriegöbereite Hochseeflotte gehabt, etwa von der damaligen Größe der 
französischen, so würden die politischen Ereignisse um Südafrika ver- 
mutlich von vornherein einen anderen VBerlauf genommen haben. Hätte 
man anstatt dessen eine große Menge von Kreuzern auf den Ozeanen 
besessen, aber keine starke Hochseeflotte, so würde der Berlauf nicht an- 
ders gewesen sein, wie es tatsächlich der Fall war. Mit andern Worten: 
Teilstreitkräfte und Teilerfolge zur See im Auslande haben in einem 
Seekriege Deutschlands gegen eine unsern beimischen Küsten nabeliegende 
Inselmacht keine erhebliche Wirkung auf den Ausgang des Krieges, wenn 
sie nicht durch eine starke Heimatskraft unterstützt werden. Umgekehrt: 
ist in der Heimat eine Hochseeflotte von entsprechender Stärke vorhanden, 
so wird ihr Erfolg Teilmißerfolge in auswärtigen Meeren mit Uber- 
schuß ausgleichen, während wiederum ihre Niederlage durch keinerlei 
Erfolge in außerheimischen Gewässern auch nur annähernd ausgeglichen 
werden kann, in den allermeisten Fällen aber ohne jeden Einfluß bleibt. 
Das war die große Wahrheit, welche die Flottenbaupolitik und den Or- 
ganisationsplan des Staatssekretärs Tirpitz zu verwirklichen bestrebt war. 
Die Uberlegung wäre unvollständig, wenn man sich nicht vor Augen 
bielte, daß damals die deutsche Flotte tatsächlich ein Nichts war, in der 
Heimat wie draußen, daß die schwimmende wie die feste Küstenverteidi- 
gung nicht annähernd ausreichend war. Aus diesem Vichts galt es, das 
Notwendige zu schaffen, und zwar unter dem Zwange und mit den Be- 
schränkungen, die eo ipso in den Verhältnissen des Deutschen Reiches 
lagen und immer liegen werden: die Hauptgrundlage muß für das Deutsche 
Reich mit seinen Landgrenzen und seinen Nachbarn immer und unter 
allen Umständen die Armee bleiben. Gerade diese naturgegebene Be- 
schränkung machte den schöpferischen Gedanken einer deutschen Hochsee- 
flotte zu einem so überaus kühnen. Wie durchaus von vorn man an- 
fangen mußte, das bezeichnete eine ÄAußerung des Staatssekretärs Tirpitz 
im Winter 1897/98 in Bertretung seiner Vorlage: wenn die Vorlage 
bewilligt sei und dementsprechend ausgeführt werde, so würde im Jahre 
1904 die deutsche Flotte aufgehört haben, eine Quantité négligeable 
zu sein. 
Die 1897 beginnende Epoche kann man als die Zeit bezeichnen, 
während welcher Deutschland konsequent bestrebt war, seiner Ohnmacht 
zur See abzuhelfen. Bis 1897 bestand die völlige Ohnmacht; Versuche
	        
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