Die englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 99
der Abhilfe hatten versagt. Diese erste Periode hatte mit der deutsch-
englischen Freundschaft unter Caprivi begonnen, die auf dem Prinzip
der „Ergänzung“ beruhte, einer Freundschaft, die nur kurze Zeit dauern
konnte und dauerte. Sobald eine deutsche überseeische Politik zu treiben
versucht wurde, welche nicht im englischen Fahrwasser schwimmen wollte,
mußte jener, übrigens nicht schöne Traum verschwinden. Oieser Fall
trat ein. Jene deutsche Politik konnte aber nicht erfolgreich sein, weil
keine Macht hinter ihr stand. Ee ist in diesem Zusammenhange von grund-
sätzlicher Bedeutung, daß die deutsche überseeische Politik damals, wo sie
Anschluß an die europäisch-asiatische Festlandmacht Rußland fand, im
fernen Osten ihr Ziel erreichte. Besondere Umstände, vor allem die geo-
graphischen Berhältnisse, hatten dieses Zusammengehen ad hoc möglich
gemacht. Die Frage und der Gedanke drängen sich wieder auf: wieviel
vorteilhafter es gewesen wäre, wenn der deutsch-russische Aeutralitäts-
vertrag in Kraft geblieben und die deutsche Flotte sich gleichsam hinter
ihm als Schild hätte entwickeln können. Das wäre gerade damals für
die auswärtige Politik eine unschätzbare Schutz- und Trutzwaffe gewesen.
Auch die afrikanische Politik des Deutschen Reiches hätte dann unter
wesentlich günstigeren Auspizien gestanden. Freilich, ersetzen konnte
jener Vertrag eine deutsche Flotte natürlich nicht.
So hatte der Reichskanzler Fürst Hohenlohe denn in jeder Beziehung
recht, als er in der Begründung der ersten Tirpitzschen Flottenvorlage
erklärte: „die deutsche Flotte sei das Ergebnis der politischen Entwicklung
Deutschlands“ und „der Kraftüberschuß Deutschlands ist ein kostbares
Kapital, das gepflegt werden muß. Das ist eine unserer ersten Pflichten.
Dafür nehme ich das Wort Woltpolitik in Arspruch.“ Auch Biemarck
hatte dem Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts direkt seine Zustim-
mung zu der organischen Flotter forderung ausgedrückt, nahm verschie-
dentlich auch Gelegenheit, in den „Hamburger Nachrichten“ und anderen
Organen das gleiche zu tun. Es läßt sich unschwer aus den Zusammen-
hängen seiner Reden urd sonstigen Außerungen nachweisen, daß der
Fürst auch über die Absicht der Regierung: späterhin ricl weitergchende
Forderungen einzubringen, unterrichtet war urd sie grundsätzlich billigte.
Die „Weltpolitik“, von der Fürst Hohenlohe sprach, hat im Laufe
aller jener Jahre das Schicksal der meisten Schlagworte getcilt: sie wurde
mißverstanden. Die einen waren der Uberzeugung, die Vertreter der
deutschen Regierung mit dem Kaiser an der Spitze wollten, wie Fürst
Bülow später sagte, den Hans Dampf in allen Gassen machen, die anderen
verlangten mit Heftigkeit und Nachdruck, daß sofort eine deutsche Politik
getrieben werden müsse, als ob wir eine starke Flottc besäßen, als ob das
Deutsche Reich noch durch einen Vertrag mit Rußland verbunden sei,
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