Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die englische Handelseifersucht — Das erste Flottengesetz. 99 
  
der Abhilfe hatten versagt. Diese erste Periode hatte mit der deutsch- 
englischen Freundschaft unter Caprivi begonnen, die auf dem Prinzip 
der „Ergänzung“ beruhte, einer Freundschaft, die nur kurze Zeit dauern 
konnte und dauerte. Sobald eine deutsche überseeische Politik zu treiben 
versucht wurde, welche nicht im englischen Fahrwasser schwimmen wollte, 
mußte jener, übrigens nicht schöne Traum verschwinden. Oieser Fall 
trat ein. Jene deutsche Politik konnte aber nicht erfolgreich sein, weil 
keine Macht hinter ihr stand. Ee ist in diesem Zusammenhange von grund- 
sätzlicher Bedeutung, daß die deutsche überseeische Politik damals, wo sie 
Anschluß an die europäisch-asiatische Festlandmacht Rußland fand, im 
fernen Osten ihr Ziel erreichte. Besondere Umstände, vor allem die geo- 
graphischen Berhältnisse, hatten dieses Zusammengehen ad hoc möglich 
gemacht. Die Frage und der Gedanke drängen sich wieder auf: wieviel 
vorteilhafter es gewesen wäre, wenn der deutsch-russische Aeutralitäts- 
vertrag in Kraft geblieben und die deutsche Flotte sich gleichsam hinter 
ihm als Schild hätte entwickeln können. Das wäre gerade damals für 
die auswärtige Politik eine unschätzbare Schutz- und Trutzwaffe gewesen. 
Auch die afrikanische Politik des Deutschen Reiches hätte dann unter 
wesentlich günstigeren Auspizien gestanden. Freilich, ersetzen konnte 
jener Vertrag eine deutsche Flotte natürlich nicht. 
So hatte der Reichskanzler Fürst Hohenlohe denn in jeder Beziehung 
recht, als er in der Begründung der ersten Tirpitzschen Flottenvorlage 
erklärte: „die deutsche Flotte sei das Ergebnis der politischen Entwicklung 
Deutschlands“ und „der Kraftüberschuß Deutschlands ist ein kostbares 
Kapital, das gepflegt werden muß. Das ist eine unserer ersten Pflichten. 
Dafür nehme ich das Wort Woltpolitik in Arspruch.“ Auch Biemarck 
hatte dem Staatssekretär des Reichs-Marine-Amts direkt seine Zustim- 
mung zu der organischen Flotter forderung ausgedrückt, nahm verschie- 
dentlich auch Gelegenheit, in den „Hamburger Nachrichten“ und anderen 
Organen das gleiche zu tun. Es läßt sich unschwer aus den Zusammen- 
hängen seiner Reden urd sonstigen Außerungen nachweisen, daß der 
Fürst auch über die Absicht der Regierung: späterhin ricl weitergchende 
Forderungen einzubringen, unterrichtet war urd sie grundsätzlich billigte. 
Die „Weltpolitik“, von der Fürst Hohenlohe sprach, hat im Laufe 
aller jener Jahre das Schicksal der meisten Schlagworte getcilt: sie wurde 
mißverstanden. Die einen waren der Uberzeugung, die Vertreter der 
deutschen Regierung mit dem Kaiser an der Spitze wollten, wie Fürst 
Bülow später sagte, den Hans Dampf in allen Gassen machen, die anderen 
verlangten mit Heftigkeit und Nachdruck, daß sofort eine deutsche Politik 
getrieben werden müsse, als ob wir eine starke Flottc besäßen, als ob das 
Deutsche Reich noch durch einen Vertrag mit Rußland verbunden sei, 
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