Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

108 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
Grundsätzliche jenes Vorganges: die um die Orientfrage gruppierten 
großen Festlandsmächte konnten Großbritannien gegenüber nicht nur 
eine unabhängige, sondern eine überlegene Politik treiben, solange sie 
auf dem Boden ihrer Macht blieben, nämlich auf dem Festlande. Sobald 
sie diesen verließen und sich auf die See begaben, waren die Nollen ver- 
tauscht. Eine Blockade gegen den Willen Großbritanniens in Szene zu 
setzen und durchzuführen, war von vornherein ausgeschlossen. Im Jahre 
vorher, 1896, als die Festlandmächte den britischen Vorschlag einer Aktion 
ablehnten und damit Lord Salisburpy seine Niederlage beibrachten, da 
war das möglich, weil der entscheidende Teil der von Großbritannien 
geplanten Aktion auf dem Festlande lag. Den deutschen Plan gegen 
Eriechenland konnte man aber nur zur See ausführen, nicht ohne Groß-- 
britanniens Einwilligung, unter keinen Umständen im Widerspruche zur 
britischen Regierung. Ein solcher Vorschlag von seiten einer Festland- 
macht konnte politisch also nur richtig sein, wenn man entweder der Ein- 
willigung Großbritanniens sicher war oder aber die Absicht hatte, die 
Weigerung britischerseits hervorzurufen und damit dessen Stellungnahme 
als eine ausdrückliche festzunageln. Diese zweite Eventualität, welche 
unter Umständen zweckmäßig und gerechtfertigt sein kann, hatte im vor- 
liegenden Falle aber keinen praktischen Zweck. So blieb positiv ledig- 
lich die indirekte Wirkung der deutschen Anregung auf die Türkei. Auf der 
anderen Seite stand die Verschärfung des Gegensatzes zu England und 
schließlich die Stellungnahme der dritten Dreibundmacht Ztalien. Ihr 
Verhalten war symptomatischer Natur. Von Gefühlen hat sich die ita- 
lienische Politik nie leiten lassen, und so war auch in diesem Falle phil- 
hellenische Begeisterung nicht der Grund, daß sie sich in offenen Gegen- 
satz zur Haltung der beiden anderen Dreibundmächte stellte. Die Ursache 
lag vielmehr darin, daß Italien sich zur See in einen Gegensatz zu Groß- 
britannien nicht stellen konnte. — Die allgemeinen Gründe hierfür sind 
im 1. Abschnitt auseinandergesetzt worden. — Das italienische Bolk sah in 
diesem Vorgange einen Beweis, daß sich die Stellung Italiens zum Drei- 
bunde in Mittelmeerfragen seit früher geändert habe. Die Tatsache konnte 
nicht bestritten werden. Es entbehrte der Begründung, wenn die drei- 
bundfeindliche Presse in Europa von einer Erschütterung des Dreibundes 
sprach, aber es war nicht in Abrede zu stellen, daß insbesondere die nie 
ruhende französische Presse eine empfängliche Stelle Italiens traf, wenn 
sie bei solchen Gelegenheiten darauf hinwies, daß für seine Mittelmeer- 
politik Ztalien nicht nur keinen Vorteil aus dem Oreibunde ziehe, sondern 
sich z. B. während der griechisch-türkischen Krisis in schroffem Gegen- 
satze zur Politik seiner Bundesgenossen befunden habe. 
Der Griechisch-Türkische Krieg endete bekanntlich mit dem Siege
	        
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