Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

142 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
Die Bertreter der britischen Regierung, an der Spitze Lord Salisbury, 
der Premierminister, und Chamberlain, der Kolonialsekretär, setzten nach 
Einberufung der Parlamente den Standpunkt der Regierung auseinander: 
der Augenblick der Entscheidung sei gekommen, ob Südafrika in Zu- 
kunft unter holländischer Herrschaft stehen oder ob die absolute Vor- 
herrschaft des britischen Volkes dort aufgerichtet werden solle. Die Po- 
litik des Präsidenten Krüger sei von Anfang an auf Abschüttelung der 
Suzeränität gerichtet gewesen. Die militärische Macht des Transvaals 
sei von Jahr zu Jahr beängstigender gewachsen. Diese Tatsache, daneben 
die Ausländerfrage hätten die Dinge zwingend zur Entscheidung getrieben. 
Wie in einem vorigen Abschnitt ausgeführt wurde, hatten die da- 
maligen Führer der englischen Nation damit recht, daß ihre Politik einer- 
seits, die Krügersche Politik anderseits mit Notwendigkeit zum Kriege 
führen mußten, wenn nicht eine der beiden Parteien nachgab. Nachgeben 
Großbritanniens bedeutete den Verzicht auf das imperialistische Ziel 
eines geeinten britischen Südafrika. Es bedeutete auch das Erstarken 
einer Macht, die in keiner Weise bereit war, sich völkisch oder politisch 
zu anglisieren, eines Bolkes, das an Wohlstand, an Zahl und an Kraft in 
starkem Wachsen war. Dazu kam, daß diese Macht danach strebte, zum 
Deutschen Reiche in engere Beziehungen zu kommen. Das Deutsche 
Reich war Kolonialmacht geworden, befand sich auf dem Wege, eine See- 
macht zu werden, entwickelte sich wirtschaftlich mit Riesenschritten und 
wurde als Britanniens gefährlichster Konkurrent angesehen. Der Deutsche 
Kaiser hatte aus seiner Auffassung von den weltpolitischen Notwendig- 
keiten des Deutschen Reiches niemals ein Hehl gemacht. Kurz, es schien 
klar genug, was für eine Politik die südafrikanische Republik nach end- 
gültiger Abschüttelung der englischen Suzeränität treiben würde. 
Die britischen Staatsmänner haben sich nie irgendwelchen über den 
Rahmen realer Möglichkeit hinausgehenden Besorgnissen hingegeben. 
Sie wußten, daß solchen Träumen für absehbare Zeit die Grundlage der 
Macht feblte. Die deutsche Frage, soweit sie in Verbindung mit der süd- 
afrikanischen stand, war im Jahre 1896 endgültig erledigt worden. Was 
eine spätere Zukunft etwa bringen konnte, das durfte nach Ansicht seiner 
Führer das britische Bolk nicht abwarten. Es mußte handeln, um so mehr, 
als die Burenfrage, als rein südafrikanische Angelegenheit, den britischen 
Staatsmännern geradezu auf den Nägeln brannte. 
Für die südafrikanischen Republiken handelte es sich um mehr, als 
für Großbritannien. Die Ausländerfrage war nicht nur politisch, sondern 
vor allem auch völkisch für die Buren eine Lebensfrage. Eine Lebens- 
frage war auch die englische Suzeränität. In beiden gab es auf die Dauer 
kein Ausweichen, es gab keinen Mittelweg.
	        
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