Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

144 2. Abschnitt. Weltpolitische Mũhen ohne zureichende Mittel 1895—1905. 
Die Politik der deutschen Regierung, so notwendig und so selbst- 
verständlich sie uns heute erscheint, war außerordentlich, man möchte 
sagen, beispiellos unpopulär in Deutschland. Die Leidenschaft der Stim- 
mung griff beinabe auf alle Kreise über, die nationale Presse war voll 
von abfälligster, entrüstetster Kritik der Politik der deutschen Regierung; 
Versammlungen, Demonstrationen aller Art flossen über von Erbitterung 
gegen Großbritannien, von Begeisterung für das tapfere Burenvolk, 
von hartem Tadel der Stellungnahme der deutschen Regierung. Auch 
im Oeutschen Reichstage kam diese Stellungnahme verschiedentlich mit 
großer Schärfe zum Ausdruck, und man ging im besonderen auch auf 
das Krügertelegramm von 1896 ein. Die Antwort, welche Fürst Bülow 
in bezug auf jene Depesche und die Politik gab, welche zu ihrer Absen- 
dung führte, ist charakteristisch für die von ihm vertretene Politik. Der 
Kanzler sagte: 
„Ich denke gar nicht daran, dieses Telegramm zu verleugnen, durch 
welches Seine Majestät der Kaiser seinem richtigen Empfinden für das 
Bölkerrecht korrekten Ausdruck gegeben hat. Aber ebensowenig haben 
wir beabsichtigt, burch jenes Telegramm unsere Politik für immer, in 
Oomnes casus et eventus in saecula saeculorum, festzulegen, und das 
konnten wir um so weniger, als sich die Berhältnisse seitdem geändert 
haben. Ich begehbe keine diplomatische Zndiekretion, wenn ich sage, daß 
dieses Telegramm jedenfalls das Berdienst gehabt hat, durch die Auf- 
nahme, die es fand, nicht in Deutschland, sondern außerhalb Deutschlands, 
die Situation für uns insofern aufzuklären, als diese Aufnahme keinen 
Zweifel darüber ließ, daß wir im Falle eines Konfliktes mit England auf 
unsere eigenen Kräfte, allein auf unsere eigenen Kräfte angewiesen sein 
würden. Daraus muß eine gewissenhafte Regierung ihre Schlüsse zieben, 
und daraus haben wir unsere Schlüsse gezogen... Transvaal und die süd- 
afrikanischen Republiken können nicht zum Angelpunkte unserer ganzen 
Politik werden. Das Hemd liegt mir näher als der Nock und jedenfalls 
liegt eb mir näher, der ich deutscher Minister des Äußeren bin und nicht 
Minister in oder für Pretoria.“ 
Der Kanzler erklärte des weiteren, daß er auf die öffentliche Mei- 
nung unter den obwaltenden Berhältnissen keine Rücksicht nehmen könne 
noch dürfe. Diese Rede wurde im Dezember 1900, also reichlich ein Jahr 
nach dem Beginn des Burenkrieges, gehalten. In einem früheren Ka- 
pitel ist erzählt worden, wie bereits angesichts der englischen Erregung 
über die Krügerdepesche der französische Botschafter in London der bri- 
tischen Regierung zum Ausdrucke gebracht hatte: für Frankreich gäbe 
es im Falle eines englisch-deutschen Krieges nur einen einzigen Feind. 
Bermutlich meinte Bülow diese Tatsache, als er von den Anzeichen sprach,
	        
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