Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Deutschland und England während des Burenkrieges. 140 
  
traf offenbar nicht den Kern der Sache. Es lag Chamberlain tatsächlich 
sehr viel daran, mit Deutschland in ein enges Einverständnis zu gelangen, 
möglicherweise schwebte ihm eine sogenannte Entente Cordiale vor, wie 
sie später zwischen Großbritannien und Frankreich zustande gekommen 
ist. Dieser Wunsch Englands begründete sich in der wachsenden Be- 
sorgnis, ja Furcht, gegenüber dem russischen Vordringen und den russi- 
schen Plänen im fernen Osten. Wegen des südafrikanischen Krieges 
aber und der damit zusammenhängenden Berhältnisse bedurfte Groß- 
britannien deutscher Unterstützung nicht. Chamberlains Werbung wurde 
in England getadelt, hauptsächlich, nachdem man die kühle Aufnahme 
seiner Borschläge in Deutschland hatte feststellen müssen. Es ist nachher 
verschiedentlich auf deutscher, französischer und englischer Seite behauptet 
worden, daß vor seiner Rede Chamberlain mit dem Fürsten Bülow 
unverbindliche Verhandlungen über die Frage einer deutsch-englischen 
Allianz oder Entente gepflogen habe. Einige behaupten, die Anregung 
sei von Chamberlain ausgegangen, die anderen, Bülow habe damit be- 
gonnen. Da keines dieser Gerüchte Anspruch auf Tatsächlichkeit besitzt, 
kann man sie nicht zur Unterlage machen. Nach Lage der Sache aber, 
besonders auch nach Lage der späteren Entwicklung, ist nicht anzunehmen, 
daß die Anregung von deutscher Seite ausgegangen sei. Ebensowenig 
wie nach dem Krügertelegramm hatten die Leiter der deutschen Politik 
jetzt den Wunsch, das mühsam erreichte bessere Einvernehmen mit Ruß- 
land für eine Vereinigung mit Großbritannien aufzugeben, deren Früchte 
ihnen zum mindesten sehr zweifelhaft erschienen. Chamberlain seiner- 
seite hatte, wie wir wissen, schon früher in ganz ähnlichen Reden auf 
ein enges deutsch-britisches Zusammengehen angespielt, und zwar in 
einer Zeit, wo noch viel weniger an eine Initiative von deutscher Seite 
zu denken war. 
Nach späteren Außerungen des Fürsten Bülow hätten Besprechungen 
damals hauptsächlich deshalb zu keinem Ergebnisse geführt, weil die bri- 
tischen VBerfassungsverhältnisse keine Gewähr für bindende Dauer von 
Abkommen usw. gäben. 
Eine Antwort auf die Chamberlainsche Rede in Leicester hat Fürft 
Bülow in seiner Reichètagsrede vom 19. Januar 1900 gegeben. Jeden- 
falls scheint es, als ob der folgende Passus als Antwort gemeint gewesen sei: 
„Gerade weil wir aufrichtig bestrebt sind, gute und freundliche Be- 
ziehungen zwischen England und DOeutschland aufrechtzuerhalten, so 
wünschen wir, daß nicht Borkommnisse eintreten, welche in hohem Maße 
geeignet sind, die Aufrechterhaltung solcher Beziehungen zu erschweren, 
die nur möglich ist auf der Basis voller Parität und gegenseitiger Rück- 
sichtnahme.“
	        
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