154 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903,
worden, denn, wie der Kaiser andeutet, hatten gerade die letzten Zahre
den Oeutschen eine Lektion über den Wert der Seegeltung erteilt, wie
sie eindringlicher schwer gedacht werden konnte: im Chinesisch-Japa-
nischen Krieg hatte die zur See starke Partei gesiegt, im Spanisch-Ameri-
kanischen Kriege war der einen Partei gelungen, ein altes morsches Welt-
reich mühelos in Trümmer zu schlagen, weil diesem die Flotte fehlte.
1898 hatte die kontinentale Großmacht Frankreich trotz ihres Bündnisses
mit Rußland sich demütigen müssen, weil ihre Flotte nicht auf der Höhe
war. In Samoa hatten das Oeutsche Reich und der deutsche Kreuzer-
kommandant eine bedauerliche Rolle spielen müssen, weil es nicht mög-
lich war, eine stärkere Flottenmacht dorthin zu schicken. Die südafrikanischen
Interessen des Deutschen Reiches mußten von vornherein preisgegeben
werden, weil jede Seegeltung fehlte und jede Möglichkeit, dem unge-
heuren englischen Ubergewichte ein auch nur nennenswertes Gegen-
gewicht in die Wagschale legen zu können.
Der Burenkrieg mit der Bitterkeit und Erregung, die er in der deut-
schen Bevölkerung erzeugte, hat insofern dem Werden der deutschen
Flotte die Wege geebnet, wenn er nicht überhaupt die Bahn gebrochen
hat. Die öffentliche Meinung in Oeutschland jedoch mit ihrer leidenschaft-
lichen Parteinahme für die Sache der südafrikanischen Republiken konnte
sich zunächst nicht in den Gedanken hineinfinden, daß man wirklich zur
Catenlosigkeit verurteilt war. Man glaubte, es müsse sich doch „irgend
etwas machen lassen“, zum mindesten sei es aber Pflicht des Deutschen
Reiches, gewissermaßen den Verkehr mit Großbritannien abzubrechen.
Und als der Deutsche Kaiser wenige Wochen nach dem Beginn des Buren-
krieges zum Besuche der Königin von England nach London fuhr, ging
eine tiefe und bittere Berstimmung durch den größeren Teil des deut-
schen Bolkes. Es mag dahingestellt bleiben, ob es richtiger gewesen wäre,
und zwar taktisch im Hinblick auf die deutsche Bolksstimmung, wenn
der Deutsche Kaiser jenen Besuch unterlassen hätte. Wir wissen heute
noch nicht mit Sicherheit, welchen Zwecken er diente. Fest steht immerbin,
daß der Besuch einen auswärtig-politischen Schaden nicht getan hat.
Er war vor dem Ausbruche des Burenkrieges angesetzt worden, und ihn
wegen des Ausbruches dieses Krieges abzusagen, wäre immerhin eine
ausgesprochene Kundgebung gewesen, deren Zweckmäßigkeit bezweifelt
werden konnte. Eine recht lange Reihe von Tatsachen während der Regie-
rungszeit Kaiser Wilhelms II. hat ausnahmslos bewiesen, daß er gerade
in Dingen der auswärtigen Politik häufig gegen seine Ansicht und Nei-
gung dem Nate des verantwortlichen Leiters Folge geleistet hat. Das
dürfte auch hier der Fall gewesen sein, und es ist anzunehmen, daß Fürst
Bülow für die Reise des Kaisers war. Die ganze Amtszeit des Fürsten