Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

158 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895 1903. 
  
wir unsere Flagge in den Philippinen und in Portoriko niederholen, 
bedürfen wir einer tüchtigen Kriegsflotte von angemessener Größe, 
oder wir müssen jetzt und für alle Zeit uns des Bewußtseins begeben, 
daß unsere Nation zu den seefahrenden Völkern rechnet. Falls unser 
Handel nicht stets unter fremder Flagge fahren soll, müssen wir Mittel 
haben, um ihn zu schützen. Weit entfernt davon, eine Herausforderung 
zum Kriege zu sein, bedeutet eine starke gut geschulte Flotte die beste 
Garantie gegen den Krieg, die billigste und wirkungsvolle Sicherung des 
Friedens. Die Kosten des Baues und der ZIndiensthaltung einer solchen 
Flotte stellen die billigste Prämie einer Friedensversicherung dar, welche 
unser Volk überhaupt zahlen kann.“ 
Da die Kostenfrage keine Nolle spielte, so ging man mit Energie 
daran, sofort eine starke Panzerflotte zu schaffen, und die ersten Fahre 
des neuen Jahrhunderts im besonderen brachten wahre Riesenbau--- 
programme. 
Die Frage liegt nahe, welche Ursachen für dieses auffallende Zugleich 
in den Seerüstungen der Mächte maßgebend waren. — Zn ODeutschland 
hatte der Kaiser seit seiner LThronbesteigung versucht, eine tätige und ziel- 
bewußte Flottenbautätigkeit in Fluß zu bringen. Es gelang erst mit dem 
Zahre 1898, nachdem mit dem Staatssekretär Admiral Tirpitz endlich der 
rechte Mann gefunden worden war. In Frankreich hatte man ebenfalls 
schon JFahre vorher über den Niedergang der Flotte geklagt, und zwei 
„Schulen“ hatten einander bitter bekämpft, in welcher Weise dem Abel 
abzuhelfen sei. Faschoda und die beiden Seekriege hatten den entscheiden- 
den Anstoß zur positiven Tat gegeben. Rußland verfolgte schon seit über 
einem halben ZJahrzehnte seine ostasiatische Politik, die es ohne starke 
Flotte durchführen zu können nicht glaubte. Die Gründe und Berhält- 
nisse im Deutschen Reiche haben wir erörtert. Die Bereinigten Staaten 
zogen die praktische Konsequenz aus ihrem Kriege, aus ihren Errungen- 
schaften und den neuen imperialistischen Zielen. Japan bereitete sich 
zielbewußt auf einen Zukunftskampf vor, den die japanischen Staats- 
männer klarer voraussahen als die aller anderen Mächte, weil sie willens 
waren, ihn im richtigen Augenblick zu führen. 
Es handelte sich also auch jetzt, wenn man ganz unparteiisch auf 
jene Periode zurückblickt, keineswegs um ein „Wettbauen“, wie oft in 
Deutschland behauptet wurde, nicht um ein gegenseitiges Sichüber- 
bieten, sondern darum, daß jede der Mächte ihre eigenen Aufgaben zur 
See und Ubersee dringend und drängend vor Augen sah und diesen Rech- 
nung zu tragen entschlossen war. Daß aber diese Bedürfnisse alle im selben 
Jahrzehnte akut wurden, begründete sich einfach in der Tatsache, die das 
Wort des Deutschen Kaisers vom „Zeitalter des Verkehrs“ treffend be-
	        
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