Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

160 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen obne zureichende Mittel. 1896—1908. 
ein gewaltiges Flottenprogramm aufzustellen und selbst es zur Bewilli- 
gung zu bringen, als es entsprechend im selben Umfange und im pro- 
grammäßigen Zeitraume zur Durchführung zu bringen. Die öffent- 
liche Meinung beider Länder freilich bediente sich der deutschen Flotten- 
pläne auf das weitgehendste, um einen Kampf der Worte und der Stim- 
mungen in Versammlungen und Zeitungen durchzufechten. In der 
deutschen Bevölkerung war jahrelanger, mit Bitterkeit gemischter Grimm 
gegen England aufgehäuft und durch den Burenkrieg zur Explosion und 
zu höchster Steigerung gebracht worden. Das Gefühl der Ohnmacht zur 
See England gegenüber hatte dieses Gefühl noch verschärft. Nun kamen 
die Flottengesetze, und mit der Zukunftswaffe einer starken deutschen 
Flotte, die jetzt erst eben mit Mühe auf das Papier gebracht worden war, 
drohte man England und schmiedete weitfliegende Zukunftspläne. In 
Deutschland und ebenso in Großbritannien ist oft über diese öffentlichen 
Erörterungen geklagt worden, und noch beute sagt man, nicht zum wenig- 
sten sie hätten die deutsch-englischen Beziehungen so sehr verschlechtert. 
Einer näheren Prüfung können diese Behauptungen schwerlich stich- 
halten, denn, wie gesagt, spielte für alle ernsteren Engländer, zumal 
die englischen Staatsmänner, der Gedanke an eine deutsche Flotte noch 
keine Rolle. Bielmehr trachtete man nach wie vor, in ein freundliches 
und möglichst enges Verhältnis mit dem Oeutschen Reiche zu gelangen. 
Was aber den „Lärm“ anlangt, der von der zweiten Hälfte der 
neunziger Zahre an in Deutschland um die Flotte und was mit ihr zu- 
sammenhing, gemacht wurde, so war dieser ein notwendiges Ubel. Wenn 
man die Flotte wollte, so mußte Aufklärung erfolgen und Agitation dafür 
gemacht werden, und unter Ausschluß der Offentlichkeit läßt sich be- 
kanntlich gerade dieses Geschäft nicht betreiben, weil die Offentlichkeit 
seine Grundlage und sein Lebenselement ist. Daß Ubertreibungen, 
törichte Phantasien, vor allem zeitliches Vorgreifen in dieser Flotten- 
agitation vorkamen, ist selbstverständlich genug, und ebenso, daß deren 
Wirkung eine schädliche Seite haben mußte. Dieses ÜUbel war aber nicht 
nur notwendig, sondern es war auch das kleinere Ubel. Wie der alte 
Fürst Hohenlohe im Reichstage sagte: „Es handelt sich da nicht allein 
um den Schutz einzelner Schiffe oder um den Nachdruck, mit dem For- 
derungen in fremden Ländern zu unterstützen sind, sondern es handelt 
sich darum, unsere Existenz als handeltreibende Weltmacht 
zu sichern. Das Oeutsche Reich darf nicht abhängig sein von 
dem guten Willen anderer mächtigerer Nationen; es muß auf 
eigenen Füßen stehen und auf Achtung zählen können.“ 
Die Wendung „abhängig sein von dem guten Willen anderer mächti- 
gerer Nationen“ bezog sich offenbar auf das Verhältnis zu England. Und
	        
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