Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

172 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
einzigen dortigen Häfen bereits geöffnet seien. Hinsichtlich der chine-- 
sischen Gebietsintegrität habe Deutschland aber keine Einschränkungen 
gemacht. Beide Staatomänner stellten sich somit scharf auf den Stand- 
punkt, daß die deutsche Auslegung des Abkommens unrichtig sei. Sie- 
verkannten oder wollten verkennen, daß es sich eben um eine Berletzung 
der Integrität des chinesischen Gebietes im Sinne des Abkommene nicht 
handelte, ja, auch nicht um einen Versuch dazu, da Rußland ja erklärt 
hatte, es werde die Mandschurei einmal wieder räumen. Im übrigen war 
der deutsche Standpunkt, daß die Mandschurei eine gewisse Sonderstellung 
zu China als Staatswesen einnehme. 
Diese deutsche Stellungnahme zum Vangtseabkommen erregte in 
England tiefe Verstimmung. Sie ist einer der Hauptgründe dafür ge- 
wesen, daß dem Fürsten Bülow seitdem in England ein auffallender Haß, 
gepaart mit unentwegtem Mißtrauen, ohne Unterlaß entgegengebracht 
worden ist. Wir müssen dahingestellt sein lassen, es ist aber wahrscheinlich 
genug, ob die deutschen Staatsmänner schon bei Abschließung des Ab- 
kommens mit England über die russischen Mandschureiziele genau unter- 
richtet waren oder wußten, daß die russische Regierung an der Fiktion 
einer späteren Räumung der Mandschurei festhalten würde. So bielt die 
Redaktion des Abkommens Oeutschland die Tür nach beiden Seiten offen 
und war an sich außerordentlich geschickt. Wie folgenschwer diese Ent- 
scheidung war, sollte sich bald zeigen. Zunächst freilich gelang es den 
vereinten englischen und japanischen Protesten und Vorstellungen, die 
russische Regierung zum Zurückziehen jenes Mandschureivertrages zu 
bewegen. Rußland vertagte die Frage stillschweigend; es fühlte sich im 
fernen Osten militärisch noch nicht bereit: man wollte die große Bahn 
erst fertig, Port Arthur als Flottenstützpunkt ausgestattet und eine stärkere- 
Flotte in den ostasiatischen Gewässern haben. 
Im Herbste desselben Zahres wohnte der Zar den deutschen Flotten- 
manövern in ODanzig bei. Der russische Minister des Auswärtigen, Graf 
Lambsdorf, und Fürst Bülow befanden sich bei ihren Souveränen, und 
die Zusammenkunft verlief in besonders betonter Herzlichkeit, gewisser- 
maßen als Besiegelung einer unausgesprochenen deutsch-russischen En- 
tente in der ostasiatischen Politik. Die Rolle der deutschen Politik war 
auf Passivität, auf ein sogenanntes Desinteressement binsichtlich der 
Mandschurei festgelegt worden. Das gab Rußland eine Rückendeckung 
von bedeutendem Werte. Niemand erkannte das schärfer als die britischen 
Staatsmänner, die begriffen, weshalb Fürst Bülow jenes Abkommen mit 
Vorliebe das Bangtseabkommen nannte. Wenige Tage nach jener Rede 
erklärte der Kanzler noch einmal, daß das Bangtseabkommen sich in keinem 
einzigen seiner drei Artikel auf die Mandschurei beziehe. Er fügte hinzu,
	        
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