Entscheidungen und Scheidungen. 173
immer das Gesicht nach London gerichtet: er freue sich, mitteilen zu können,
„daß ich vor zwei Stunden ein Telegramm unseres Botschafters in
St. Petersburg erhalten habe, nach welchem der russische Herr Minister des
Außeren dem Grafen Alvensleben seine Genugtuung mit meinen neu-
lichen Ausführungen über China ausgesprochen hat“.
Man sieht, wie diese betonten Wiederbolungen, die der Kanzler
immer wieder in seine Reden einstreute, den Zweck verfolgten, weder
Rußland, noch England im Zweifel zu lassen. Es war die Politik der freien
Hand, die hier einen sehr prägnanten Ausdruck fand, denn auch damals
hatte Fürst Bülow die deutsche Politik keineswegs gebunden, er hätte
in jedem Augenblicke seine Auffassung von dem russischen Vorgeben in
der Mandschurei ändern und sich auf die Seite Englands stellen können.
Entscheidungen und Scheidungen.
Enttäuschung und Verstimmung waren in Großbritannien die Folge
der deutschen Desinteressementspolitik der Mandschurei gegenüber. Sie
wurde verstärkt und verbittert durch die beftigen Borwürfe, welche die
öffentliche Meinung in Deutschland dauernd gegen die britische Krieg-
führung und Politik in Südafrika richtete. Die Leiden der Burenfrauen
mit ihren Kindern in den Konzentrationslagern nebst anderen Härten
und Grausamkeiten hatten Unwillen und Haß auf deutscher Seite auf
einen hohen Grad gebracht und bielten ihn dauernd auf der Höhe. Die
englische Empfindlichkeit wuchs ihrerseits. Man fühlte jenseits der Nord-
see, daß diese Erbitterung und dieser Haß tief gingen und den größeren
Teil des deutschen Volkes erfüllten. Die großen Opfer, welche der Krieg
in jedem Sinne von der britischen Bevölkerung verlangt hatte, die Er-
innerung an die schweren Krisen, die sie, besonders im ersten Teile des
Krieges, hatte durchhalten müssen, dabei jetzt das Gefühl, endlich das
Siel erreicht, gesiegt und Südafrika dem britischen Einflusse unterworfen
zu haben, — das alles brachte in Großbritannien eine Stimmung bervor,
zu deren Träger sich zu machen gerade Chamberlain als Persönlichkeit
und als Staatomann prädestiniert erschien.
In Edinburgh hielt am 25. Oktober Chamberlain eine Rede über den
Stand des Krieges, über die Friedenoverhandlungen, die Bedingungen
usw. Dann sagte er: Wenn die Zeit gekommen sei, werde die Regierung
Präzedenzfälle für alles, was sie tun werde, in dem Vorgehen jener Na-
tionen finden, welche die „britische Grausamkeit und Barbarei“ verur-
teilten. Sie werde aber nie an das heranreichen, was diese Nationen in
Polen, im Kaukasus, in Bosnien, in Tonking und im Kriege 1870 taten.
Dieser Vergleich mit dem in ihm liegenden anmaßenden, abfälligen