Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Entscheidungen und Scheidungen. 173 
  
immer das Gesicht nach London gerichtet: er freue sich, mitteilen zu können, 
„daß ich vor zwei Stunden ein Telegramm unseres Botschafters in 
St. Petersburg erhalten habe, nach welchem der russische Herr Minister des 
Außeren dem Grafen Alvensleben seine Genugtuung mit meinen neu- 
lichen Ausführungen über China ausgesprochen hat“. 
Man sieht, wie diese betonten Wiederbolungen, die der Kanzler 
immer wieder in seine Reden einstreute, den Zweck verfolgten, weder 
Rußland, noch England im Zweifel zu lassen. Es war die Politik der freien 
Hand, die hier einen sehr prägnanten Ausdruck fand, denn auch damals 
hatte Fürst Bülow die deutsche Politik keineswegs gebunden, er hätte 
in jedem Augenblicke seine Auffassung von dem russischen Vorgeben in 
der Mandschurei ändern und sich auf die Seite Englands stellen können. 
Entscheidungen und Scheidungen. 
Enttäuschung und Verstimmung waren in Großbritannien die Folge 
der deutschen Desinteressementspolitik der Mandschurei gegenüber. Sie 
wurde verstärkt und verbittert durch die beftigen Borwürfe, welche die 
öffentliche Meinung in Deutschland dauernd gegen die britische Krieg- 
führung und Politik in Südafrika richtete. Die Leiden der Burenfrauen 
mit ihren Kindern in den Konzentrationslagern nebst anderen Härten 
und Grausamkeiten hatten Unwillen und Haß auf deutscher Seite auf 
einen hohen Grad gebracht und bielten ihn dauernd auf der Höhe. Die 
englische Empfindlichkeit wuchs ihrerseits. Man fühlte jenseits der Nord- 
see, daß diese Erbitterung und dieser Haß tief gingen und den größeren 
Teil des deutschen Volkes erfüllten. Die großen Opfer, welche der Krieg 
in jedem Sinne von der britischen Bevölkerung verlangt hatte, die Er- 
innerung an die schweren Krisen, die sie, besonders im ersten Teile des 
Krieges, hatte durchhalten müssen, dabei jetzt das Gefühl, endlich das 
Siel erreicht, gesiegt und Südafrika dem britischen Einflusse unterworfen 
zu haben, — das alles brachte in Großbritannien eine Stimmung bervor, 
zu deren Träger sich zu machen gerade Chamberlain als Persönlichkeit 
und als Staatomann prädestiniert erschien. 
In Edinburgh hielt am 25. Oktober Chamberlain eine Rede über den 
Stand des Krieges, über die Friedenoverhandlungen, die Bedingungen 
usw. Dann sagte er: Wenn die Zeit gekommen sei, werde die Regierung 
Präzedenzfälle für alles, was sie tun werde, in dem Vorgehen jener Na- 
tionen finden, welche die „britische Grausamkeit und Barbarei“ verur- 
teilten. Sie werde aber nie an das heranreichen, was diese Nationen in 
Polen, im Kaukasus, in Bosnien, in Tonking und im Kriege 1870 taten. 
Dieser Vergleich mit dem in ihm liegenden anmaßenden, abfälligen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.