Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Entscheibungen und Scheidungen. 175 
  
geboten war. Das Programm war: so lange wie irgend möglich die Politik 
der freien Hand zwischen Rußland und England treiben unter Aufrecht- 
erhaltung freundlicher, tunlichst vertrauensvoller Beziehungen zu beiden. 
Der Bangtsevertrag hatte ein Mittel hierzu sein sollen, wäre es auch 
noch längere Zeit geblieben, wenn die russische Mandschureipolitik nicht 
die britische und japanische Politik alarmiert und Bülow zur Stellung- 
nahme gezwungen hätte. Um so mehr mußte der deutschen Politik daran 
liegen, auf anderen Gebieten, wo es die deutschen Interessen nicht ge- 
fährden konnte, mit Großbritannien zusammenzugehen, und um so weniger 
erwünscht war eine hochgespannte Atmosphäre gegenseitig feindlicher 
Stimmung zwischen den beiden Nationen. 
Oie deutsche Reichsregierung konnte gleichwohl nicht umhin, in ihrem 
halbamtlichen Organe zu den Chamberlainschen Außerungen Stellung 
zu nehmen, und Fürst Bülow sah sich veranlaßt, sich im Reichstage dazu 
zu äußern, nachdem der Abgeordnete Graf Stolberg, später Präsident 
des Deutschen Reichstages, den Gefühlen des deutschen Bolkes in folgender 
Weise Ausdruck gegeben hatte: 6 
„.. Vom Auslande her hat man die schwersten und, wie ich glaube, 
die ungerechtesten Beschuldigungen gegen unsere Truppen erhoben. Oie- 
selben bezogen sich zwar nicht auf das ostasiatische Korps, sondern sie 
griffen auf eine frühere Zeit zurück. Der Minister eines fremden Landes, 
mit 'dem wir in Frieden und Freundschaft leben, hat es für nützlich ge- 
halten, gegen das Verhalten unserer Truppen in den Jahren 1870/71 
die schwersten Beschuldigungen zu erheben. Im ganzen deutschen Volke, 
in allen Schichten und in allen Parteien desselben haben diese Beschul- 
digungen, die völlig ummotiviert waren, tiefste Entrüstung hervorgerufen. 
Oaß diese Entrüstung gerade in Deutschland in dieser Weise zum Aus- 
drucke gekommen ist, ist ganz natürlich: denn in keinem Lande der Welt 
sind die Armee und das Bolk so innig miteinander verbunden wie bei uns. 
Wenn wir die Armee als das deutsche Volk in Waffen bezeichnen, so ist 
das keine leere Redensart, sondern es entspricht den Tatsachen, und daraus 
folgt mit Notwendigkeit, daß, wer das deutsche Heer beleidigt, auch das 
deutsche Volk beleidigt.“ 
Fürst Bülow sagte in seiner Erwiderung, daß an und für sich ein 
Minister wohl daran tue, das Ausland aus dem Spiele zu lassen, wenn er 
für nötig halte, seine eigene Politik zu rechtfertigen. Sähe er sich aber 
doch in der Lage, es tun zu müssen, so sei große Vorsicht geboten, denn 
sonst liefe er Gefahr, nicht nur mißverstanden zu werden, „sondern auch, 
ohne es zu wollen — wie ich im vorliegenden Falle annehmen will und 
annehmen mus, nach dem, was mir von der anderen Seite versichert wird —, 
fremde Gefühle zu verletzen. Das ist aber um so bedauerlicher, wenn es
	        
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