Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

182 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
werde, ihn zu erhöhten Bauanstrengungen und zu Dislokationen zwänge, 
die für anderweitige britische Interessen nachteilig seien. Daß es so oder 
ähnlich kommen würde, konnte man sich um 1900 an den Fingern ab- 
zählen. Kam es aber so weit, dann mußte Deutschland den Wünschen 
des Freundes und Bundesgenossen entweder Folge leisten oder sie ab- 
lehnen. Im ersten Falle war es aus mit dem Flottentraume und mit 
der Aussicht, auch in rein kontinentalen Angelegenbeiten auf eigenen 
Füßen zu stehen, im zweiten Falle würde der Bruch erfolgen und Deutsch- 
land sich in erheblich ungünstigerer Lage befinden als nach der kurzen Zeit 
deutsch-britischer Freundschaft unter Caprivi, nachdem man es vorher mit 
Rußland verdorben hatte. So ungefähr stellte sich die Alternative. Das Kri- 
terium war im Grunde also, wie hoch man den Wert einer wirklich starken 
deutschen Flotte anschlug, denn die russische Frage hätte sich vielleicht 
auch anders erledigen lassen. Wir wollen, ehe wir ein Urteil über jene 
große Entscheidung zu fällen versuchen, erst den Gang der Dinge während 
des ersten Zahrzehntes im neuen Fahrhundert verfolgen. 
Am 2. Januar 1902 weilte Marquis Zto in London, und am 50. Januar 
wurde das englisch-japanische Bündnis unterzeichnet. 
Oie offiziösen Organe in St. Petersburg erklärten sogleich, Rußland 
habe den Abschluß des Abkommens mit größter Ruhe begrüßt. Die Grund- 
sätze, welche die russische Politik seit Beginn der Unruhen in China leiteten, 
blieben unveränderlich. Rußland halte an der Unabhängigkeit und Inte- 
grität Chinas und Koreas fest; Rußland wünsche Aufrechterhaltung des 
Status quo und Beruhigung. In Anbetracht seines großen Bahnbaues 
im fernen Osten müsse es im Interesse Rußlands liegen, für Ruhe und 
Stetigkeit zu arbeiten. Insofern seien die im britisch-japanischen Ab- 
kommen betonten Absichten der beiden Mächte Rußland nur sompathisch. 
Daran würden auch Versuche der ausländischen Presse nichts ändern, 
welche der russischen Politik falsche Ziele unterzuschieben sich bemübten. 
Die starke Gereiztheit, die auch aus diesen maßvoll abgetönten Wen- 
dungen sprach, war in Rußland allgemein. Am 12. April, also ganz 
kurz nach dem englisch-japanischen Bertrage, veröffentlichte die russische 
Regierung ein zwischen ihr und der chinesischen Regierung abgeschlossenes 
Abkommen über die Mandschurei. Es war an Stelle desjenigen Ab- 
kommens getreten, welches im vergangenen Jahre durch englisch-japa- 
nischen Einspruch vereitelt worden war und ging dementsprechend in 
seinen Ansprüchen an russische Herrschaft in der Mandschurei lange nicht 
so weit. Vor allem erklärte Rußland, daß die chinesische Regierungs- 
gewalt in der Mandschurei wieder Platz greifen könne, außerdem ver- 
pflichtete sich die russische Regierung, die Truppen allmählich aus der 
Mandschurei zurückzuziehen, falls keine Wirren ausbrechen und die Hand--
	        
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