Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

198 3. Abschnitt. Bor und nach Algeciras. 1903—1908. 
  
  
zu erlangen, das mußte den Geist aus den italienischen Dreibundver- 
pflichtungen ziemlich gründlich heraustreiben. Die rückbleibende Form 
genügte noch eben für vorsichtigen Friedensgebrauch, wenn man gegen- 
über den von Frankreich stets emsig geschürten Ausbrüchen der Osterreich- 
feindlichkeit und den transadriatischen Plänen Ztaliens gegenüber die 
Augen zudrücken wollte. 
Die Politik des Deutschen Reiches hatte nicht verhindert und — wie 
sie war — nicht verhindern können, daß es so weit kam. Fürst Bülow 
hat in mehrfacher Wiederholung betont, daß der Oreibund und das 
Deutsche Reich im besonderen an den Mittelmeerverhältnissen kein Zn- 
teresse hätten. Sachlich betrachtet war diese Behauptung unrichtig. 
Wenn nicht am Mittelmeere selbst, so mußte die Politik des Deutschen 
Reiches doch an der Mittelmeermacht JItaliens das allergrößte In- 
teresse nehmen und an allem, was deren Politik betraf, ganz besonders 
aber auch an den Beziehungen Ztaliens zu Österreich-Ungarn. Ob und 
wie es möglich gewesen wäre, diese sicher überaus schwierige und im 
Rahmen der sonstigen Politik verwickelte Aufgabe zu lösen, muß dahin- 
gestellt bleiben. Die Feststellung genügt, daß sie nicht gelöst wurde, und 
daß eine der wesentlichen AUrsachen dieses Mißerfolges in der Ohnmacht 
zur See aller Dreibundstaaten enthalten lag. Die Flotten Frankreichs 
und Englands zusammen beherrschten Mittelmeer, Atlantischen Ozean 
und Nordsee absolut. Außerdem glaubte man in Italien, daß Deutschland 
und Österreich-Ungarn auch im europäischen Landkriege unterliegen 
würden. 
Der König von Ztalien besuchte kurz nach Erneuerung des Dreibund- 
vertrages Berlin, ein Ereignis, das angesichts der häufigen Monarchen- 
besuche innerhalb des Dreibundes und besonders jetzt nach dem Ab- 
schluß ohne besondere Bedeutung war. Erheblicher war die Bedeutung 
der Reise des Königs und der Königin nach London, wo in den Tisch- 
reden König Bictor Emanuels und König Eduards mit Nachdruck auf 
die „Freundschaft der beiden Nationen“ hingewiesen wurde, eine Freund- 
schaft übrigens, die tatsächlich keinen Augenblick unterbrochen gewesen 
war. Italien hatte in der griechischen Frage 1897 auf seiten der eng- 
lischen Politik gestanden, es war 1900 dem deutsch-englischen Vangtse- 
vertrag beigetreten und stand nachher in der Mandschureifrage auf der 
Seite Englands. Italien hatte nie aufgehört, in England den alten und 
mächtigen Garanten seiner Mittelmeerstellung — ein bei Gelegenheit 
stets wirksames Gegengewicht gegen die Festlandmächte — zu erblicken. 
Ein Ereignis von hoher politischer Bedeutung aber war der Besuch 
König Bictor Emanuels und der Königin in Frankreich im Herbst 1903. 
Der Präsident Loubet erklärte in seinem Trinkspruche: Frankreich sei
	        
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