Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

König Eduards Anfänge — Reibungen. 201 
  
das Zusammengehen der beiden Mächte auf dem Balkan fest, wo die 
mazedonischen und albanischen Unruhen immer gefährlicher zu werden 
drohten, teils, weil die Türkei es an tatsächlichen Reformen fehlen ließ, 
teils, weil Bulgaren, Serben und Griechen alles taten, um die Aufstands- 
bewegung zu schüren. Die österreichisch-russische Aktion bezweckte Auf- 
rechterhaltung des Status quo. Graf Goluchowski erklärte der Lage 
gemäß, Rußland und Osterreich hätten sich von den übrigen Mächten 
ein Mandat zur Regelung der Balkanverhältnisse erwirkt, wodurch der 
„schwerfällige Apparat des europäischen Konzertes“ vermieden worden 
sei. Es handelte sich im wesentlichen darum, daß ein türkischer General- 
inspektor für die Ausführung der Reformen in den Wilajets Salonili, 
Kossowo und Monastir ernannt und dabei unter Kontrolle russischer 
und österreichischer Delegierter gestellt wurde. Daneben liefen Flotten- 
demonstrationen Rußlands und Englands bei Saloniki und an der Küste 
des Schwarzen Meeres. Schließlich nahm die Pforte das Reformpro- 
gramm Österreich-Ungarns und Rußlands im Prinzip an. 
Unter dem Gesichtspunkte der internationalen Politik lag die Be- 
deutung dieser Aktion hauptsächlich in der Tatsache, daß Rußland und 
Osterreich-Ungarn, die alten Rivalen des Balkan, wieder wie 1897 im 
Einvernehmen miteinander arbeiteten. Die Ursache lag weniger in einer 
Übereinstimmung ihrer wirklichen Grundinteressen, auch nicht darin, daß 
beide Front gegen einen gemeinsamen Gegner gemacht hätten, wie 
1897 gegen England, sondern die Ursache war einfach die, daß sie bei 
getrenntem und verschiedenem Vorgehen mit großer Wahrscheinlichkeit 
in einen Konflikt kommen mußten, der weder dem einen, noch dem an- 
deren gelegen war. Für Rußland kam mit in erster Linie die Erwägung 
in Betracht, daß die vorhandenen und zu erwartenden Spannungen und 
Krisen im fernen Osten es zum mindesten als inopportun erscheinen 
ließen, auch im nahen Orient eine aktive und von Konfliktsmöglichkeiten 
umgebene Politik zu treiben. 
Die Politik des Deutschen Reiches in den Orientangelegenheiten war 
die traditionelle. Fürst Bülow vertrat formell die Ansicht, daß das deutsche 
Interesse am Orient „nur indirekter Natur“ sei, daß man die Erhaltung 
des Status quo nach Möglichkeit unterstützen müsse. Das Deutsche Reich 
habe im Gegenteil ein besonderes Interesse daran, daß das Türkische 
Reich gestärkt werde. In diesem Sinne war die deutsche Diplomatie 
tätig, besonders auch, indem sie zu Konstantinopel zur Nachgiebigkeit 
gegenüber den Reformforderungen der beiden Mächte mahnte, die nur 
allzu berechtigt waren. Im Gegensatze zu der lebhaften und nicht immer 
geschickt sich vordrängenden Orientpolitik des Staatssekretärso Freiherrn 
v. Marschall befleißigte Fürst Bülow sich der Zurückhaltung. Sie war
	        
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