König Eduards Anfänge — Reibungen. 201
das Zusammengehen der beiden Mächte auf dem Balkan fest, wo die
mazedonischen und albanischen Unruhen immer gefährlicher zu werden
drohten, teils, weil die Türkei es an tatsächlichen Reformen fehlen ließ,
teils, weil Bulgaren, Serben und Griechen alles taten, um die Aufstands-
bewegung zu schüren. Die österreichisch-russische Aktion bezweckte Auf-
rechterhaltung des Status quo. Graf Goluchowski erklärte der Lage
gemäß, Rußland und Osterreich hätten sich von den übrigen Mächten
ein Mandat zur Regelung der Balkanverhältnisse erwirkt, wodurch der
„schwerfällige Apparat des europäischen Konzertes“ vermieden worden
sei. Es handelte sich im wesentlichen darum, daß ein türkischer General-
inspektor für die Ausführung der Reformen in den Wilajets Salonili,
Kossowo und Monastir ernannt und dabei unter Kontrolle russischer
und österreichischer Delegierter gestellt wurde. Daneben liefen Flotten-
demonstrationen Rußlands und Englands bei Saloniki und an der Küste
des Schwarzen Meeres. Schließlich nahm die Pforte das Reformpro-
gramm Österreich-Ungarns und Rußlands im Prinzip an.
Unter dem Gesichtspunkte der internationalen Politik lag die Be-
deutung dieser Aktion hauptsächlich in der Tatsache, daß Rußland und
Osterreich-Ungarn, die alten Rivalen des Balkan, wieder wie 1897 im
Einvernehmen miteinander arbeiteten. Die Ursache lag weniger in einer
Übereinstimmung ihrer wirklichen Grundinteressen, auch nicht darin, daß
beide Front gegen einen gemeinsamen Gegner gemacht hätten, wie
1897 gegen England, sondern die Ursache war einfach die, daß sie bei
getrenntem und verschiedenem Vorgehen mit großer Wahrscheinlichkeit
in einen Konflikt kommen mußten, der weder dem einen, noch dem an-
deren gelegen war. Für Rußland kam mit in erster Linie die Erwägung
in Betracht, daß die vorhandenen und zu erwartenden Spannungen und
Krisen im fernen Osten es zum mindesten als inopportun erscheinen
ließen, auch im nahen Orient eine aktive und von Konfliktsmöglichkeiten
umgebene Politik zu treiben.
Die Politik des Deutschen Reiches in den Orientangelegenheiten war
die traditionelle. Fürst Bülow vertrat formell die Ansicht, daß das deutsche
Interesse am Orient „nur indirekter Natur“ sei, daß man die Erhaltung
des Status quo nach Möglichkeit unterstützen müsse. Das Deutsche Reich
habe im Gegenteil ein besonderes Interesse daran, daß das Türkische
Reich gestärkt werde. In diesem Sinne war die deutsche Diplomatie
tätig, besonders auch, indem sie zu Konstantinopel zur Nachgiebigkeit
gegenüber den Reformforderungen der beiden Mächte mahnte, die nur
allzu berechtigt waren. Im Gegensatze zu der lebhaften und nicht immer
geschickt sich vordrängenden Orientpolitik des Staatssekretärso Freiherrn
v. Marschall befleißigte Fürst Bülow sich der Zurückhaltung. Sie war