Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Venezuela — Die Vereinigten Staaten. 217 
—S-P.- 
über, und zwar bei jeder denkbaren Gelegenheit. Der neue deutsche Bot- 
schafter in Washington, Freiherr Speck v. Sternburg, war mit einer Ameri- 
kanerin verheiratet; er suchte sich in vielleicht manchmal übertriebener 
Weise dem amerikanischen demokratischen Tone und den dortigen dega- 
gierten Formen anzupassen. Diese Art und Weise mißfiel in Deutsch-- 
land stark, man erblickte darin einen Mangel an Würde, wie sie der Ver- 
treter des Deutschen Reiches hätte beobachten müssen. Es mag sein, daß 
Speck v. Sternburg nach dieser Seite hin zu weit gegangen ist, aber dem 
steht die nicht zu bestreitende Tatsache gegenüber, daß er vieles getan 
und manches erreicht hat, um die Beziehungen zwischen den beiden Mäch- 
ten zu bessern. Das ist, besonders nach seinem Tode, ziemlich einwand- 
frei bekannt geworden. Ein tatsächlich guter Gedanke war der des Deut- 
schen Kaisers: die sogenannten Austauschprofessoren; weniger erfreulich 
war die um jene Zeit beginnende Schwärmerei für alles Amerikanische 
in Deutschland, die sich, wie leider meist bei uns, in geschmackloser Nach- 
ahmung und im Bestreben, sich zu „amerikanisieren“, betätigte. 
Als dann in den folgenden Zahren die deutsch-amerikanischen Be- 
ziehungen tatsächlich bessere wurden, und als das Mißtrauen hinsichtlich 
angeblicher Eroberungsziele deutscher Weltpolitik scheinbar etwas zu wei- 
chen begann, da — etwa um Mitte des ersten Jahrzehntes des neuen Jahr- 
hunderts — schlugen die deutschen Gedanken und Hoffnungen in das ent- 
gegengesetzte Extrem um. Ein sehr großer Teil der öffentlichen Meinung 
in Deutschland wollte in den Bereinigten Staaten einen künftigen Helfer 
und Bundesgenossen für einen Krieg zwischen ODeutschland und Groß- 
britannien erblicken. Man träumte von einem Zusammenwirken der 
beiden Flotten und glaubte, daß zum mindesten die deutsche Handels- 
flotte während eines solchen Krieges unter die Flagge der Bereinigten 
Staaten gestellt und so vor Vernichtung durch die englischen Kreuzer be- 
wahrt werden würde. Tatsächlich ist an derartige Möglichkeiten im Ernste 
nie zu denken gewesen und auch an den amtlichen Stellen der beiden 
Mächte sicherlich nicht gedacht worden. Militärisch, politisch, wirtschaftlich 
und rechtlich war der Gedanke von vornherein eine Utopie. 
Es lag in der Tatsache der starken und schnellen Entwicklung der 
deutschen Exportindustrie und des deutschen Handels, daß man zeitweise 
auf eine höhere Einschätzung amerikanischen Wesens und deutsch-ameri- 
kanischer Beziehungen verfiel, als dem wohlverstandenen deutschen Interesse 
entsprach. Daher kamen viele Abertreibungen, die, unpolitisch gemeint, 
doch wieder den politischen Erfolg hatten, daß die Vereinigten Staaten 
vielfach glaubten, sie befänden sich ausschließlich in der Rolle des Ge- 
benden, Deutschland in der des Empfangenden. Die weitere Folge dieser 
mißverständlichen Auffassung mußte sein, daß sie im Verbalten Oeutsch-
	        
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