Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

218 3. Abschnitt. Vor und nach Algeciras. 103 1908. 
land gegenüber hervortrat, dort eine entsprechende Reaktion hervorrief 
und die Stimmungen zeitweilig sich wieder trübten. Durch dieses Hin und 
Her hat es längere Zeit in Anspruch genommen, bis ein gewisses — frei- 
lich immer noch labiles — Gleichgewicht in der gegenseitigen Einschätzung 
eintrat. 
Daß diese ausländischen Einflüsse nicht um der Boshbeit an sich willen 
erfolgten, braucht nicht festgestellt und nicht begründet zu werden. Das 
reale Interesse speziell Großbritanniens daran, intimere deutsch-ameri- 
kanische Beziehungen zu verhbindern, lag auf der Hand. Die britische 
Politik hatte seit Mitte des vorigen Jahrhunderts kein Opfer gescheut, 
um sich den Vereinigten Staaten angenehm zu machen. Sie hatte sich 
in Meinungsverschiedenheiten, auch wenn die Rechtsfrage außerordentlich 
zweifelhaft war, stets unterworfen, sie hatte ausnahmslos nachgegeben, 
wo zu befürchten stand, daß sonst eine antienglische Mißstimmung des 
angelsächsischen Vetters jenseits des Atlantischen Ozeanes die Folge sein 
könnte. Wie unbeschränkt Großbritannien im Laufe der letzten hundert 
Zahre wirtschaftlich und politisch Europa beherrscht hatte, wie arrogant 
die britische Politik häufig genug aufgetreten war, — so vorsichtig, ja 
so unterwürfig benahm sie sich in allen Fragen, welche mit den Ber- 
einigten Staaten direkt oder indirekt zusammenhingen. Oas war nicht 
Furcht vor der amerikanischen Flotte, noch auch in erster Linie das Ge- 
spenst einer militärischen Invasion Kanadas durch die Armee der Ver- 
einigten Staaten. Es war vielmehr die Furcht vor den ungeheuren, bei- 
nahe unbegrenzten wirtschaftlichen Mitteln und Fäbigkeiten der Ver- 
einigten Staaten, in Gestalt ihres Reichtums an Geld, an Bodenprodukten 
aller und jeder Art, des Vorhandenseins der verschiedensten Klimate, 
kurz, einer wirtschaftlichen Selbständigkeit und Entwicklungemöglichkeit 
ohnegleichen. Die Vereinigten Staaten wären für Großbritannien un- 
angreifbar, und wenn letzteres zehnmal die amerikanische Flotte ver- 
nichtet hätte. Unter jeder Zwistigkeit, einerlei welcher Art, leidet Groß-- 
britannien unverhältnismäßig mehr als die Bereinigten Staaten. Die 
ungeheuren wirtschaftlichen und finanziellen Interessen Großbritanniens 
nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch auf dem südameri- 
kanischen Kontinente würden schon bei gegenseitiger dauernder Miß- 
stimmung schwer geschädigt und beeinträchtigt werden. Verbänden sich 
gar die Bereinigten Staaten mit einer europäischen Großmacht in irgend- 
einer Gestalt gegen Großbritannien, so würden die Folgen für das letztere 
unabsehbar und von britischer Seite unabwendbar sein. Aus diesen und 
noch anderen Gründen war es also ein naheliegendes Interesse für die 
Engländer, eine deutsch-amerikanische Annäherung zu verbindern und 
der in dieser Beziehung so leichtgläubigen Bevölkerung der Vereinigten
	        
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