Oie Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 237
Fürst Bülow äußerte sich auf sozialdemokratische Angriffe hin fol-
gendermaßen: „Man hat uns einen Vorwurf daraus gemacht, daß wir
uns für die Neutralisierung von China interessiert haben. Unsere Haltung
ging aber auch in dieser Beziehung aus klaren und einwandfreien Motiven
hervor.“ Die Neutralisierung sei ein Mittel zur Lokalisierung des Krieges,
ferner zur Beruhigung des chinesischen Hofes und zum Vorbeugen einer
erneuten fremdenfeindlichen Bewegung. Außerdem, so sagte der Kanzler,
sei gerade das Eintreten Deutschlands für die Aeutralisierung der offen-
kundigste Beweis dafür, daß Deutschland nicht daran denke, sich ein Stück
China anzueignen. Japan sei freiwillig dem Beschlusse der Mächte, China
zu neutralisieren, beigetreten, also ein weiterer Beweis dafür, daß die
Neutralisierung Chinas kein Mangel an Neutralität seitens der Mächte war.
Hierzu wäre wohl noch zu bemerken, daß die ANeutralisierung Chinas
für Zapan doch den Fortfall einer wichtigen Chance bedeutete, während sie,
wie gesagt, für Rußland vorteilhaft war. Man kann aber vielleicht an-
nehmen, daß die Bereitwilligkeit Japans auf englische Einwirkung erfolgt
ist. England mußte ebenso wie das Oeutsche Reich höchstes ZInteresse
daran haben, daß in China die Ruhe nicht gestört würde. Im Grunde
genommen schloß neben anderen Uberlegungen der deutsch-englische
Vangtsevertrag, jedenfalls seinem Sinne nach, die Verpflichtung ein,
für Großbritannien wie für Deutschland, durch Neutralisation die Inte-
grität des Chinesischen Reiches sicherzustellen. Fürst Bülow nahm noch
einmal, Ende November 1904, Gelegenheit, einem englischen Intervie-
wer gegenüber nachdrücklich zu betonen, daß die Neutralisierung Chinas
Deutschland in erster Linie zu verdanken sei. Welche Dinge hier binter
den Kulissen gespielt haben, entzieht sich der Kenntnis. England wird zur
Frage der Neutralisierung Chinas mit einem heiteren und einem nassen
Auge gestanden haben, denn so erwünscht sie ihm in bezug auf die britischen
Chinainteressen sein mußte, so wenig konnte man verkennen, daß die ruf-
sische Stellung in Asien dadurch gestärkt wurde. Wäre der japanische
Siegeslauf zu Wasser und zu Lande weniger glänzend gewesen, so würde
die Haltung der britischen Politik wohl eine andere gewesen sein.
Im Jahre 1904, hauptsächlich während seiner ersten Hälfte, war die
allgemeine Meinung im Ourchschnitt, daß die russischen Waffen, wie
schon oft in früheren Kriegen Rußlands, nach einer Reihe von Rückschlägen
schließlich doch siegreich bleiben würden. Sogar zur See konnte man
trotz der russischen Verluste und trotz der offenbaren Unbereitschaft der
russischen Schiffe und der Unfähigkeit von Führern und Besatzungen
immer noch für möglich halten, daß ein Wendepunkt einträte. Die Zahl
der japanischen Kriegsschiffe war nur gering, jeder Verlust, den Zapans
Flotte erlitt, fiel deshalb doppelt ins Gewicht. Dazu rüstete Rußland